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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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16-Jähriger einen gelb gefärbten Irokesenschnitt zulegt, dazu eine schwarze Lederjacke mit Nieten trägt und Stiefel mit verschiedenfarbigen Schnürsenkeln, dann folgt er haarklein einem Dresscode , den sich Leute ausgedacht haben, die seine Großeltern sein könnten.
    Es gilt also immer noch die Weisheit aus dem Film-Klassiker Das Leben des Brian . Wenn die Masse ruft: »Wir sind alle völlig verschieden!« und ein Einzelner widerspricht: »Ich nicht!«, dann ist irgendetwas komisch.
    Freier Wille? Na ja …
    Es ist also sicher nett und vielleicht auch angenehm, zu glauben, dass man seinen eigenen freien Willen auslebt, wenn man morgens diese Schuhe anzieht und jenes Make-up auflegt (mehr zum Thema »Freier Wille« im Kapitel 18). Es ist auch nett zu glauben, man folge seinem eigenen freien Willen, wenn man sich die Haare färbt, die Locken herausglätten lässt oder die Augenbrauen zupft. Aber dieser Glaube ist ein Irrtum. Niemand denkt sich allein aus, wie er nach außen auftritt. Vielmehr richtet sich jeder in seinem Verhalten immer nach anderen, zu denen er bewusst oder auch unbewusst gehören möchte. (Wer Fachbegriffe mag: Bei Erwachsenen reden Wissenschaftler hier beispielsweise gern vom Milieu , bei Jugendlichen auch von der Peer-Group. )
    Dass sich jeder und jede ständig an anderen ausrichtet, ist übrigens überhaupt nicht schlimm. Dieses Ausrichten an anderen hat nicht unbedingt etwas mit Schleimerei oder Anpassung zu tun. Anders könnte menschliches Zusammenleben wohl gar nicht funktionieren. Es wäre ziemlich anstrengend, wenn man sich beispielsweise jeden Morgen die Frage stellen müsste: »Färbe ich mir heute die Haare grün oder blau? Gehe ich mit T-Shirt oder Bikini in die Schule? Oder nackt?« (Im Hochsommer wäre das ja denkbar.)

    Dass Jana beispielsweise ihr Yuko-Ichihara-Kostüm an etwa 360 Tagen des Jahres beim Blick in den Kleiderschrank definitiv nicht in Erwägung zieht, macht ihr Leben einfacher. Menschen können nur dann ihren Alltag bewältigen, wenn sie nicht ständig aus einer unendlichen Zahl von Alternativen auswählen müssen. Erträglich ist nur eine Handvoll verschiedener Handlungsmöglichkeiten. (Wer dazu einen wissenschaftlichen Fachbegriff lesen möchte: Es geht – unter anderem – um die Reduktion von Komplexität.)
    Völlige Freiheit bei der Auswahl der Kleidung wäre also wohl zu anstrengend, deshalb schränken Menschen die Auswahl ein. Gleichzeitig nutzen sie den Spielraum, der ihnen bleibt, aus, um sich nach außen darzustellen. Kleidung und alles, was mit dem Äußeren zu tun hat, trägt viel dazu bei, dass jemand der ist, der er ist. Es ist inzwischen auch wissenschaftlich abgesichert, was das Sprichwort »Kleider machen Leute« ausdrückt: Darin, wie jemand sich herrichtet, steckt eine Botschaft.
    Die Botschaften können ganz unterschiedlich sein:
    Ich bin eine Frau und kein Mann.
    â€¢ Ich bin reich.
    â€¢ Ich lege Wert darauf, sexy zu sein.
    â€¢ Ich arbeite in einem Büro und nicht in einer Fabrikhalle.
    Vielleicht steckt im Äußeren eines Menschen aber auch die Botschaft: Mir ist nicht sonderlich wichtig, wie ich aussehe. Egal wie die Botschaft lautet, die in der Kleidung steckt – sie wird von allen anderen in Sekundenbruchteilen verstanden. Wer jemanden in Anzug und Krawatte sieht, muss nicht lange überlegen, ob er einen Punk vor sich hat. Durch das Austauschen von Botschaften entsteht aber nichts Geringeres als die gesamte menschliche Gesellschaft.
    Das Dumme dabei: Wenn Menschen Botschaften austauschen wollen, gelingt das zwar oft recht gut. Oft misslingt es aber auch. Dann bleiben Missverständnisse und Unverständnis. Und solche Kommunikationsprobleme treten nicht nur auf, wenn es ums Sprechen und Zuhören geht oder ums Schreiben und Lesen. Auch die Botschaft, die in Kleidung steckt, kann für Unverständnis sorgen. Ein einfaches Stück Tuch zum Beispiel kann eine Menge Wirbel auslösen. Wenn es um den Kopf gewickelt wird.

Kapitel Drei
    Bist du die Geliebte von Osama bin Laden?
    Warum die einen Kopftücher tragen und die anderen nicht. Was das Ganze mit Religion zu tun hat (oder haben soll).
    Bleiben wir bei Jana, die sich ein paar Mal im Jahr gern kleidet wie die japanische Manga-Figur Yuko Ichihara. Im Alltag hingegen läuft Jana komplett unauffällig herum. Dazu gehört, dass sie kein Kopftuch
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