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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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Kopf trugen. Wer sich mit Gold und Silber schmücken durfte. Wer Glocken oder Schellen an seine Kleidung nähen durfte. Aber auch die Zahl der Falten und Rüschen an Schleiern war streng festgelegt. Oder wie tief der Ausschnitt eines Kleides gehen durfte. Der Sinn des Ganzen wurde in der bayerischen »Landordnung« aus dem Jahr 1599 so formuliert: »Darmit der Edle von dem Unedlen, der Geistlich vor dem Layen, der Burger vor dem Bauern, der Herr vor dem Knecht, also auch Frauen und Jungfrauen vor den Mägden, etc. unterschieden und erkant mögen werden.«
    Im Mittelalter waren die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft streng getrennt. Bauern sollten unter sich bleiben, ebenso wie Handwerker oder Händler. Und um diese Trennung sichtbar zu machen und auch fortzuschreiben, wurde festgelegt: Schon an der Kleidung musste auf den ersten Blick zu erkennen sein, ob jemand ein Bauer war, ein Bürger oder ein Edelmann. Auch die Haare durften die Menschen nicht tragen, wie sie wollten. Bei den Männern waren lange Haare vielerorts in ganz Europa den »Freien Bürgern« vorbehalten. Ein Bauer, der in sklavenähnlicher Abhängigkeit für Adlige oder ein nahe gelegenes Kloster schuftete, musste sich die Haare kurz scheren. Dementsprechend wäre im Mittelalter ein Freier Bürger nie auf die Idee gekommen, sich die Haare abzuschneiden. Schon gar nicht wäre ihm eingefallen, sich eine Glatze zu rasieren, so wie es heute viele Männer für schick halten. Denn damit hätte er ja ausgesehen wie ein Bauer oder ein Leibeigener. Also wie Menschen, die für Freie Bürger damals rundum verachtenswert waren.
    Und wehe denen, die sich nicht an die Vorschriften hielten! So weist eine alte Urkunde beispielsweise 20 Reichstaler Strafe für eine junge Frau aus, weil sie vier Mal »in Tragung Goldt und Silbers ersehen worden«. Eine andere musste 15 Taler Strafe zahlen, weil sie »allhier 2 mahl in einer reichen und sehr kostbahrer Hauben ersehen worden«. (Zitate nach: Baur, Veronika: Kleiderordnungen in Bayern vom 14. bis zum 19. Jahrhundert.)
    Heute geschieht es nur noch bei seltenen Gelegenheiten und in ganz bestimmten Zusammenhängen, dass jemand wirklich gezwungen wird, etwas Bestimmtes zu tragen. So bekamen im Frühjahr 2011 zwei Bundestagsabgeordnete Schwierigkeiten, als sie mithelfen sollten, eine Parlamentssitzung zu leiten. Sie mochten dabei aber keine Krawatte tragen. Auch viele Firmen schreiben ihren Mitarbeitern mehr oder minder unmissverständlich vor, welche Kleidung auf der Arbeit in Ordnung geht und welche nicht. Zerrissene Jeans und fleckiges T-Shirt bei der Bank? Undenkbar. Als Mitarbeiterin eines Autokonzerns in Flipflops die chinesischen Ingenieure empfangen, die die Firma besuchen? Ebenfalls sicherlich ein Grund, um großen Ärger zu bekommen.
    Und Umfragen unter Personalchefs zeigen ganz klar: Die Firmen prüfen bereits vor einer Einstellung gern, ob die Nachwuchskraft, die sich da um eine Stelle bewirbt, denn immer schön brav war. Selbstverständlich wird nicht nur bei Xing oder LinkedIn nachgeschaut, welche beruflichen Schokoladenseiten jemand zu bieten hat. Da wird auch der Rest der virtuellen Welt gescannt. Blöd, wenn irgendwo zu sehen ist, wie man mal gegen Regeln verstoßen hat, die der künftige Arbeitgeber für wichtig hält. Da möchte man gar nicht wissen, was aus den Bildern wird, die Trinkfreunde zum Abschluss einer alkoholreichen Nacht machen. Der künftige Trainee mit runtergelassener Hose und Bierflasche in der Hand? Tja.
    Wir sind alle Individualisten! Oder nicht?
    An der Kleidung kann man noch etwas schön studieren: den Widerspruch zwischen dem, was Menschen glauben zu tun – und dem, was sie tatsächlich tun. Gerade Jugendliche beispielsweise geben in Befragungen immer wieder an, dass sie über ihre Kleidung und das gesamte Outfit ihrer eigenen, ganz unverwechselbaren Persönlichkeit Ausdruck verleihen.
    Die Kombination von dieser Hose mit jenem T-Shirt, diesem Gürtel mit jenen Schuhen trägt ja schließlich sonst niemand so. Schon gar nicht in Kombination mit dieser Frisur, jenen Strähnchen, diesen Ringen und jener Armbanduhr. Die Erklärung liegt auf der Hand. Kein Mensch ist genauso wie ein anderer. Daher legt jeder Wert darauf, anders auszusehen als die andern.
    Aber stimmt das? Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, dem fällt schnell auf: Die Menschen sind sich darin,
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