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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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trägt. Wenn sie sich plötzlich eines überzöge, würden sich ihre Verwandten und Freunde wahrscheinlich Sorgen machen, ob unter dem Kopftuch noch alles in Ordnung ist. Denn Jana hat ihre Wurzeln in einer mittelgroßen Stadt im Rheinland. Wer zu einer Familie gehört, die dort länger als 50 Jahre lebt, ist in der Regel entweder katholisch oder aus der Kirche ausgetreten. Vielleicht ist er auch evangelisch. In jedem Fall gilt: Bei solchen Leuten tragen die Frauen heute keine Kopftücher. Früher konnte man zwar durchaus mal die modebewusste deutsche Dame mit etwas um den Kopf herum sehen, ebenso wie die Bauersfrau. Aber heute? Eher nicht.
    Und wenn Frauen plötzlich doch mit Kopftüchern anfangen, dann gibt es dafür höchstens zwei halbwegs einleuchtende Erklärungen. Erstens: wenn eine Frau an Krebs erkrankt und ihr wegen der Therapie die Haare ausfallen. Zweitens: wenn sich eine Frau mit einem gläubigen Moslem zusammentut – dann gilt auch das als nachvollziehbarer Grund dafür, dass sie plötzlich ein Kopftuch trägt.
    In diesem Fall allerdings gilt eine solche Frau als ziemlich komisch. Sich wegen des Glaubens ihres Freundes oder Mannes plötzlich ganz anders zu kleiden, das ist verdächtig. Ganz nach der Zeile, die Die Ärzte in ihrem Lied »Lasse redn« gedichtet haben: »Du darfst nie mehr in die Vereinigten Staaten, denn du bist die Geliebte von Osama bin Laden . «
    Oben mit
    Als völlig neben der Spur würde Jana aber gelten, wenn sie sich ein typisch muslimisches Kopftuch besorgen würde und es jeden Tag anzöge – einfach so, weil sie es schick oder witzig findet. Denn damit würde sie gleich doppelt gegen Regeln verstoßen. Zum einen gegen die Normen ihrer katholischen, evangelischen oder nicht-kirchlichen Verwandten und Freunde. Denn in deren Augen gehört ein solches Tuch ja nur auf den Kopf einer gläubigen Muslimin. Jana würde aber auch gegen die Normen der Musliminnen und Muslime verstoßen. Denn die sind der Ansicht, dass ein solches Kopftuch nicht auf die Haare einer jungen Frau gehört, die noch nie eine Moschee betreten hat.
    Anders sieht das bei einem Mädchen aus, das in Janas Nachbarschaft wohnt. Nennen wir sie Ipek. Ihre Eltern sind in der Türkei geboren, sie selbst ist in Deutschland auf die Welt gekommen. Sie hat die deutsche Staatsbürgerschaft, spricht akzentfrei Deutsch. Am Telefon käme keiner auf die Idee, dass sie irgendwie »nicht dazugehört«.
    Vielen, die ihre Wurzeln nicht in Ländern mit islamischer Tradition haben, fällt bei einer Begegnung mit Ipek aber eines sofort auf: das Kopftuch, das sie stets trägt. Ipek macht um dieses Kopftuch nicht viel Aufhebens. Wo ihre Familie herkommt, tragen eben erwachsene Frauen so was, sagt sie. Und deswegen tut sie es auch. Sie sei Muslimin, erklärt sie. Sie glaube an Allah. Aber durch das Tragen ihres Kopftuchs wolle sie keinem ihren Glauben aufzwingen. Genauso, wie sie nicht davon ausgeht, dass die Leute, die mit einem Kreuz um den Hals herumlaufen, anderen den christlichen Glauben aufzwingen wollen. Und Leute mit Kreuz um den Hals könne man ja schließlich viele sehen, sagt sie.
    Eine Frage der Sitten
    Darüber, ob der muslimische Glaube verbindlich vorsieht, dass Frauen ihre Haare oder möglicherweise auch das ganze Gesicht bedecken, gibt es auch unter Islam-Gelehrten intensive Debatten. Dass die Sache nicht eindeutig ist, lässt sich an einer einfachen Beobachtung festmachen: Es gibt ganz unterschiedliche Schleier oder Kopftücher.
    Die einen bedecken die Haare weitgehend, lassen aber noch die eine oder andere Strähne sehen. Die anderen bedecken die Haare komplett, lassen aber das Gesicht frei. Wieder andere lassen gar nicht erkennen, wer oder was dahinter ist. Auch die Frage, ob der Schleier gleich den ganzen Körper bedecken sollte, wird ganz unterschiedlich beantwortet. Wer Genaueres wissen will: In die einschlägigen Suchmaschinen Begriffe wie Niqab, Tschador, Hidschab oder Burka eingeben – da findet sich einiges.

    Wenn unter denjenigen, die an Allah glauben, die eine Gruppe etwas auf eine Weise handhabt und die andere Gruppe auf eine andere Weise, dann lässt das erst einmal einen Schluss zu: Das Kopftuchtragen ist eine Übereinkunft in bestimmten Gruppen von Menschen. Die einen Gruppen treffen diese Übereinkunft so. Die anderen treffen sie anders. Und die dritten treffen sie gar nicht.
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