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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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anziehend auszusehen. Dabei ist klar, was als Norm vorgegeben ist. Frisch gewaschenes und gekämmtes Haar, möglichst hübsch in Form geföhnt. Das ist es, was die meisten Männer sehen wollen, wenn sich Mädchen und Frauen in der Öffentlichkeit bewegen. Eigentlich sollte das Haar auch lang sein. Und wenn bei den Müttern der GNTM -Bewerberinnen die Haare anfangen grau zu werden, sollte mit Farbe und Tönung nachgeholfen werden, um den Reiz der Jugendlichkeit zu bewahren. Ein 40-jähriger Mann mit grauen Haaren kann gerade durch seine ergraute Haarpracht sexy wirken. Aber eine 40-jährige Frau mit grauem Pferdeschwanz? Eher weniger.

    Was für Mädchen und Frauen die Frage aufwirft: Geht es ausgerechnet beim eigenen Kopf (auf dem die Haare ja wachsen) wirklich nur darum, was Männer gern sehen wollen?
    Männliche Regeln für weibliche Köpfe
    Die Antwort lautet: ja. Letztlich geht es darum, was Männer schön finden, wenn Frauen ihren Kopf bearbeiten. Jetzt wird manche Leserin denken: Aber ich mache mir doch die Haare schön, weil ich das will! Dann sollte diese Leserin sich vielleicht folgende Frage stellen: Bin ich ganz allein darauf gekommen, das zu wollen? Und? Na?
    Männer legen also fest, was Frauen mit ihrem Kopf anstellen sollen. In Europa oder den USA haben sie sich darauf geeinigt, dass Frauen sexy sein sollten. In vielen islamischen Ländern finden die Männer hingegen, dass es mächtig verwirrend ist, dauernd von sexy Frauen umgeben zu sein. Die logische Konsequenz: Dort haben Männer festgelegt, dass es besser ist, wenn die Frauen die Schönheit ihrer Haare nicht zeigen. In einigen Teilen der islamischen Welt haben Männer diesen Gedanken konsequent zu Ende gedacht. Und sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass auch schöne Gesichter, hübsche Brüste, reizvolle Taillen verwirrend sein können. Folgerichtig werden Frauen hinter Ganzkörperschleiern, also hinter Tschadors oder Burkas, versteckt.
    Auch in diesen Ländern würden natürlich viele Frauen sagen, dass es ihre eigene freie Entscheidung sei, sich eine Burka oder einen Tschador überzustülpen. Tatsache aber ist, dass sich eine Frau in einer traditionell lebenden Familie in Afghanistan nicht frei dafür entscheiden könnte, mit langen blond gefärbten Haaren herumzulaufen. Auch in Saudi-Arabien oder Pakistan wäre das schlicht nicht möglich. Genauso wie sich eine europäische Managerin nicht frei dafür entscheiden könnte, mit Haaren ins Büro zu kommen, denen man ansieht, dass sie seit zwei Wochen weder gewaschen noch gekämmt wurden. Zum hübschen Kostüm der Managerin gehören duftige Haare.
    Gerade an Burkas oder Tschadors lässt sich aber auch eines recht gut studieren: Wenn es um Normen geht, kann schnell mal alles, was mit Denken zu tun hat, komplett verloren gehen. In streng muslimischen Ländern werden nicht nur hübsche 20-Jährige hinter Ganzkörperschleiern versteckt, damit sie mit ihrer Anziehungskraft nicht Männern den Kopf verdrehen. Vielmehr verschwindet alles, was bei einer medizinischen Untersuchung als Frau identifizierbar wäre, hinter Stoff. Hier zeigt sich: Gesellschaftliche Normen entwickeln gerne mal ein Eigenleben.
    Dieses Eigenleben kann so weit gehen, dass Normen komplett menschenfeindlich werden. Und das, obwohl die Normen von Menschen gemacht sind. Menschengemachte Normen können aber auch noch auf ganz andere Weise ein Eigenleben entwickeln.

Kapitel Vier
    Da sprach der König zu seinen Räten: Ich will meine Tochter heiraten.
    Warum es Verbote gibt, die sich völlig selbstverständlich anfühlen – obwohl sie vielleicht gar nicht so selbstverständlich sind.
    Nicht viele Wörter der Südseeinseln haben es geschafft, Teil der deutschen Sprache zu werden – und auch anderer europäischer Sprachen. Das Tabu gehört dazu. Als die ersten Europäer Inseln im heutigen Polynesien besuchten, stellten sie fest, dass die Ureinwohner manche Dinge strikt mieden oder in gewisser Weise als heilig betrachteten. Allerdings passte der Begriff »heilig«, den die Europäer kannten, nicht richtig zu den Tabuverboten. Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, schrieb dazu: »Die Tabuverbote entbehren jeder Begründung.« Und: »Sie verbieten sich eigentlich von selbst.« Ein Tabuverbot gilt also nicht, weil ein Gesetz oder der Wille einer göttlichen Macht es so
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