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Hexenspuk in Wokingham

Hexenspuk in Wokingham

Titel: Hexenspuk in Wokingham
Autoren: Othmar Franz Lang
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Ein nach Jasmin duftender Brief
     
    Ohne zu klopfen, riß der Briefträger von Wokingham, Mr. Pocket, die Tür zum Büro des Friedhofsverwalters von Wokingham auf.
    ,,’n guten Morgen, Mr. Sloane!“ rief er frohgelaunt. „Da ist ein Brief für Sie.“

     
    „Für mich?“ fragte Mr. Sloane erstaunt. „Sicher vom Ministerium, über die neuen Vorschriften bezüglich der Gräbertiefe und so weiter...“
    „Duften Briefe von Ministerien?“ fragte Mr. Pocket ungläubig und schnupperte noch einmal an dem Brief.
    Im selben Augenblick roch Mr. Sloane ebenfalls den Duft. Wenn er sich nicht irrte, war dies Jasmin. Und Jasmin erinnerte ihn an etwas, er wußte nur nicht sofort, woran.
    Mr. Pocket rückte den Brief noch nicht heraus, er hielt ihn nun weit von sich, um die Schrift auf dem Umschlag besser lesen zu können. „Eine sehr charaktervolle Handschrift“, stellte er fest. „Der Brief kann also nicht von einem Ministerium kommen. Nicht gerade Schönschrift, aber sehr charaktervoll. - Ich sehe immer nur auf die Schrift, Mr. Sloane. Als Briefträger muß man sich die Zeit vertreiben, ich sehe mir die Schrift an, und stelle mir den dazugehörigen Menschen vor. Nur die Schrift interessiert mich, nicht der Absender und auch nicht, was so auf Postkarten steht. Ich sollte das nicht sagen, aber Mrs. Watermann vom Postamt, die liest da manchmal ganz schön mit, man sollte nicht glauben, was Leute so auf Postkarten schreiben...“
    Mr. Pocket musterte erneut die Schrift. „Scheint mir eher eine Frauenschrift zu sein, eine Frau mittleren Alters würde ich sagen. Und die Dame leidet auf keinen Fall an Minderwertigkeitskomplexen. Es ist bestimmt keine gewöhnliche Dame, eher schon eine sehr erfahrene, sehr energische Lady. Hier zum Beispiel, dieser Schwung, mit dem sie das A angeht, da steckt eine Menge Energie dahinter.“
    Mr. Sloanes Gesichtszüge veränderten sich derart, daß man meinen konnte, jemand hätte ihm überraschend eine Essigpflaume in den Mund gesteckt. Ihm dämmerte ganz schwach, wer der Absender dieses Briefes sein könnte.
    „Geben Sie her“, sagte er kurz entschlossen, und als er den Brief in der Hand hatte, war es ihm, als hätte er brennendes Holz angefaßt. Gleichzeitig wurde der Jasminduft so stark, daß er sofort das eine Fenster seines Büros aufriß, und zwar jenes, das auf den stillen Friedhof hinausging. Die Amseln hatten gerade nichts Besseres zu tun, als zu flöten. Triolen, wenn man genau hinhörte. Vor dem Offnen des Fensters hatte Mr. Sloane den Brief auf den Schreibtisch fallen lassen, denn er hatte nicht mehr nur eine Ahnung, von wem er sein konnte, er wußte nun hundertprozentig, von wem dieser Brief stammte. Da steckte eine Cousine seines Vaters dahinter, die einem sehr, sehr seltsamen Beruf nachging, von dem man im Hause Sloane nicht gerne sprach, schon gar nicht vor Cedric, dem Sohn des Ehepaares Sloane.
    „Danke schön, Mr. Pocket“, sagte Mr. Sloane zum Fenster und zum Friedhof hinaus. „Ich werde den Brief später öffnen.“
    Nein, er konnte dies unmöglich jetzt tun, Vaters Cousine Periwinkle war sehr einfallsreich in geschmacklosen Späßen. „Danke schön, Mr. Pocket, ich möchte Sie nicht länger aufhalten.“
    Der Briefträger ließ sich das nicht zweimal sagen, obwohl er gerne Näheres über diesen seltsamen Brief erfahren hätte. Er konnte es nicht beschwören, aber als er ihn angefaßt hatte, war ihm doch so gewesen, als hätte er da einen kleinen elektrischen Schlag erhalten. Und als er noch einmal die Schrift musterte, da hatte er in den Fingern das Gefühl, als wäre der Brief voller Ameisen, voller in Panik geratener Ameisen, die verzweifelt einen Ausgang aus dem festverschlossenen Umschlag suchten. Pocket tippte mit dem rechten Zeigefinger an seine Mütze und ging. Der Poststempel war aus London, erinnerte er sich draußen. Schade, daß er nicht genauer nach dem Absender gesehen hatte.
    Friedhofsverwalter Sloane konnte sich nicht lange am Gesang der Friedhofsamseln erfreuen. Seufzend wandte er sich um, ging zum anderen Fenster und sah zu, wie der Briefträger über den Friedhofsvorplatz davontrabte. Dann seufzte Mr. Sloane wieder. Und er hatte auch allen Grund dazu. Der Jasmingeruch wurde trotz der geöffneten Fenster immer stärker und beklemmender. Er öffnete nun auch die Tür, die zur Treppe führte. Als er zu seinem Schreibtisch zurückkehrte, standen ihm die Haare zu Berge: Der Brief, den Mr. Pocket vor einige Minuten gebracht hatte, hüpfte leicht auf
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