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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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Kapitel Eins
    Das Leben ist kein Cosplay, Schätzchen.
    Warum wir das anziehen, was wir anziehen. Und was das mit Normen zu tun hat, mit der Gesellschaft, und dem ganzen Rest, der das Leben ausmacht.
    Wir treffen Jana auf der Frankfurter Buchmesse. Die 19-Jährige sieht ziemlich gut aus, wenn im Innenhof des Messegeländes die Herbstsonne in ihre roten Augen leuchtet und auf die glatten pechschwarzen Haare, die ihr bis zur Hüfte reichen. Auch die weiße Satinjacke, auf deren Armen sich schwarze Drachen zu Janas Schultern winden, steht ihr hervorragend. Ebenso wie der graue Rock und die schwarzen Handschuhe, die ihr Outfit abrunden.
    Aber wie war das? Rote Augen? In der Tat, Jana hat sich rote Kontaktlinsen auf die Augäpfel gepfriemelt. Denn sie ist heute nicht eine junge Frau aus einer mittelgroßen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Heute ist sie Yuko Ichihara. Oder besser gesagt: Sie trägt ein Kostüm , das der Manga-Figur Yuko Ichihara entspricht, und sie spielt heute die »Hexe der Dimensionen«. Denn Jana ist Cosplayerin.
    Nun könnte man es damit bewenden lassen, dass man sagt: Na ja, das Costume play oder Cosplay , bei dem vornehmlich junge Leute sich nach dem Vorbild japanischer Manga-Figuren kleiden, ist eines von vielen Hobbys, die Menschen halt so pflegen. Doch wenn man ein bisschen über Jana und das Cosplay nachdenkt, kann sich eine ganze Reihe interessanter Gedanken auftun. Und wenn man die nacheinander durchgeht, kann man ein paar erstaunliche Einsichten über nichts Geringeres gewinnen als: das Leben . (Auch dein Leben, liebe Leserin und lieber Leser!)
    Die Regeln des Spiels
    Die Frage nach dem »Warum?« ist in vielen Fällen nicht so ganz einfach zu beantworten. Fangen wir also lieber mit der Frage an: »Was?« Genauer: Was macht Jana da eigentlich? Die erste Antwort darauf lautet: Sie spielt . Es hat ja seinen Grund, dass es Cos play heißt, was sie auf der Frankfurter Buchmesse, bei der Leipziger Buchmesse und bei anderen Gelegenheiten immer wieder unternimmt. Und zum Spiel gehören – das weiß tatsächlich jedes Kind – Regeln.
    Cosplayer setzen also erst einmal die Regeln darüber, was normale Leute anziehen, komplett außer Kraft. Sie verstoßen fernab jeder Karnevals- oder Faschingszeit gegen verschiedenste Normen , was man üblicherweise zu tragen hat. Dieser Verstoß gegen die gängigen Kleider-Regeln folgt aber selbst strengen Regeln. Und das ist ja schon einmal durchaus bemerkenswert.
    Eine Regel: Die Figuren, die Cosplayer mit ihren Kostümen nachempfinden, stammen nicht aus irgendwelchen Comics oder Fernsehserien. Cosplay bedient sich in allererster Linie bei japanischen Mangas oder Animes. Mit dem Rest dürfen sich Trekkies oder Karnevalsvereine beschäftigen.

    Noch eine Regel: Die Kostüme sollen idealerweise selbst genäht und zusammengesetzt sein. Cosplay ist nichts Kommerzielles.
    Und noch eine Regel: Cosplay alleine oder zu zweit geht nicht. Man tritt in Rudeln auf. Gegen die Kleiderregeln der Gesellschaft zu verstoßen, gilt nur dann als gute Idee, wenn man eine einigermaßen große Gruppe bildet, die nach ihren eigenen Regeln gegen die Regeln der anderen verstößt.
    Für Jana heißt das: Wenn sie sich mit ihren roten Augen, den hüftlangen Kunsthaaren und dem restlichen Manga-Dress ganz allein an einem sonnigen Oktobertag in Frankfurt auf eine Parkbank setzen würde, dann würden Passanten entweder denken: Merkwürdig … Oder sie würden denken: Die hat wohl nicht alle Latten am Zaun.
    Im Innenhof des Frankfurter Messegeländes aber bildet Jana gemeinsam mit Hunderten weiterer Cosplayer eine eigene Gemeinschaft. Die anderen Messebesucher in Anzug, Rock oder auch Jeans finden es zwar verwunderlich, was die jungen Leute da veranstalten; die meisten verstehen beim besten Willen nicht, was da abläuft. Doch weil es so viele merkwürdige junge Leute sind, denken sich die anderen: Die werden schon ihren Grund haben.
    Regeln beruhigen
    Weil die Cosplayer offensichtlich gewissen Regeln folgen, haben die Messebesucher zu keinem Zeitpunkt den beunruhigenden Gedanken, dass da eine Horde von Verrückten ins Ausstellungsgelände eingedrungen sei. Wahnsinnige, die möglicherweise alle geltenden Regeln übers menschliche Zusammenleben außer Kraft setzen und vielleicht als Nächstes Samurai-Schwerter zücken und wild um sich schlagen. Was die Messebesucher sehen, sind
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