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Gewalt ist eine Loesung

Gewalt ist eine Loesung

Titel: Gewalt ist eine Loesung
Autoren: Schubert Stefan
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1. Spielbericht –
Die verhängnisvolle Schlagzeile
    Dienstag, 5. November 1996
    Die Nachtschicht wollte nicht enden. Es war gerade 04:15 Uhr und es passierte mal wieder nichts. Keine Einsätze, keine Notrufe – nur quälende Langeweile. Noch zwei Stunden bis zum Dienstende. Und noch zwei Stunden bis zum lästigen Dienstabschlussbier. Morgens um kurz nach 6 Uhr! Das gehörte dazu. Wer nicht mittrinken wollte, galt als Außenseiter. Das Ganze fand jeden Morgen im Partyraum unserer Dienststelle statt. Ein Partyraum in gut deutscher Gemütlichkeit. Eckbänke, überzogen mit muffigen Bezügen oder abgewetzten Sitzkissen. Deutsche Beamtengeselligkeit bei Bier und frischen Brötchen im Morgengrauen. Holzgetäfelte Wände, Polizeiwappen, Pokale, schummrige Beleuchtung aus Lampenschirmen, die von dem dicken Qualm der Zigaretten gelblich braun von der Decke hingen.
    Der Biervorrat stammte von einem Unternehmen, das mit uns Polizisten gute Umsätze machte. Jede Stadt hat unzählige Abschleppfirmen und Autowerkstätten. Aber die Polizei ruft bei Pannen oder Unfällen immer nur eine an. Und die dankt die lukrativen Schleppfahrten und Reparaturaufträge mit vollen Kühlschränken. Bier, Spezi, Cola – es war wie immer alles da. Und jeder Polizist wusste, wo er seinen Privatwagen günstig warten lassen konnte …
    Diese lustige Frühstücksrunde verließ man als junger Polizist erst, wenn ein Dienstältester den Anfang machte. Neulinge sollten diese Polizeitradition nicht durchbrechen, sonst hätten sie verloren. Auch wenn sie nach einer langen Nacht gerne ins Bett wollten. Aufgebrochen wurde erst, wenn sich die Runde nach drei oder vier Absacker-Bieren langsam auflöste. Erst dann fuhren die Hüter über Recht und Ordnung nach Hause. Promillegrenzen gab es in diesem Raum keine. Wer nicht kontrolliert wurde, hatte auch nicht zu viel getrunken – und Polizisten überprüften keine Polizisten. Das war schon immer so.
    Seit acht Monaten war ich nun in Bielefeld im Dienst. Nach acht Jahren beim Bundesgrenzschutz, der Landespolizei Nordrhein-Westfalen und bei der Bereitschaftspolizei in Wuppertal und in der Nähe von Dortmund wurde ich in meine Heimatstadt versetzt. In die Polizeiinspektion Süd. Streifendienst. Eigentlich der Traum vieler Polizisten: eine Stelle in der Heimat. Da, wo man aufgewachsen ist, wo man jeden kennt und von jedem gekannt wird. Oder auch anerkannt.
    Da war ich also. Eine alte Dienststelle mit 15 Mann. Eine reine Altherrenwelt – gestört nur von einer jungen Kollegin und von mir. Verjüngung nannte man so etwas wohl. Oder auch Ruhestörung für die, die schon seit 15 Jahren und länger hier auf Streife gingen. Zwei junge Polizisten, die beim Dienstabschluss morgens um 6 Uhr allenfalls Malzbier trinken wollten. Und dann auch noch eine Frau, wegen der man die Pin-ups von den Wänden hängen musste.
    Diese Nachtschicht wollte wieder nicht zu Ende gehen. Es war gerade mal 04:30. Müde und gelangweilt schaute ich bei der Doppelkopfrunde vorbei, obwohl mir dieses Spiel gerade um diese Tageszeit eher fremd war. Bis es endlich an der Wachtür klingelte. Der erste Lichtblick seit Stunden in dieser Ödnis – die frisch gedruckten Tageszeitungen.
    Mein Kollege Rolf saß über dem Westfalen-Blatt. Rolf war zu jener Zeit ein Kollege, den ich sehr schätzte und respektierte, schließlich war er sieben Jahre beim SEK, dem Spezialeinsatzkommando, bei dem ich gerade eine Bewerbung laufen hatte. Was er aus seiner SEK-Zeit erzählte, klang nach Abenteuer. Und nach Actionfilm. Eine völlig andere Welt als die der Polizeiinspektion Süd. Spannender als alles, was man hier im Streifendienst erleben konnte. Sturmhauben, Maschinenpistolen, gefährliche Einsätze – das war das SEK und da wollte ich hin. Für das SEK wäre ich sogar bereit gewesen, mein Leben zu ändern. Wenn es mit meiner Bewerbung endlich klappen würde.
    Rolf sah mich mit einem durchdringenden Blick an: »Wie alt bist du jetzt?«, fragte er. Ich? Wie alt? Was soll die Frage um diese Uhrzeit, dachte ich, ohne etwas zu ahnen. »Bist du nicht 26?«, bohrte er weiter.
    »Wenn du es sowieso weißt, was fragst du dann?«
    »Lies das hier!«, flüsterte er mir zu und zeigte mit seinem Finger auf die aufgeschlagene Zeitungsseite. »Polizeibeamter ist Fußball-Hooligan«, stand da. In großen Buchstaben. Die Schlagzeile. Polizist – Hooligan – Bielefeld – 26 Jahre. Die meinten mich. Das war meine Geschichte. Um Gottes willen.
    Mir wurde auf der Stelle übel. Es
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