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Rachmann, Tom

Rachmann, Tom

Titel: Rachmann, Tom
Autoren: Die Unperfekten
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Tom
Rachman
     
    Die
Unperfekten
     
    Roman
     
    Aus dem Englischen von Pieke
Biermann
     
     
    N eues U mfragetief für Bush
     
    Lloyd
Burko, Paris
     
    LLOYD   SCHIEBT   DAS   BETTZEUG  
BEISEITE   UND rennt in weißer Unterwäsche und schwarzen Socken zur Wohnungstür. Mit
der Hand am Türgriff findet er sein Gleichgewicht wieder und schließt die
Augen. Durch den Spalt unten zieht es kalt herein, er krampft die Zehen zusammen.
Aber im Treppenhaus ist nichts zu hören. Nur ein Paar klackernde Stöckelschuhe
eine Etage höher. Ein quietschender Rollladen auf der anderen Hofseite. Sein
eigener Atem, ein leises Pfeifen in den Nasenlöchern, ein und aus.
    Eine dünne Frauenstimme weht
dazwischen. Lloyd kneift die Augen fester zusammen, als könnte er so die Stimme
lauter stellen, aber er hört nur Gemurmel, ein Frühstücksgespräch zwischen der
Frau und dem Mann in der Wohnung gegenüber. Dann, plötzlich, fliegt drüben die
Tür auf: Die Stimme wird lauter, die Flurdielen knarren - die Frau kommt auf
ihn zu. Lloyd huscht zurück, hakt das Fenster zum Hof auf, bezieht Posten und
widmet sich der Betrachtung seines Fleckchens Paris.
    Sie klopft an die Tür.
    »Komm rein«, ruft er, »du
musst nicht anklopfen.« Und seine Frau betritt die gemeinsame Wohnung, zum
ersten Mal seit dem Abend zuvor.
    Er guckt weiter aus dem
Fenster, nicht zu ihr, drückt nur die nackten Knie noch fester gegen das
Eisengeländer.
     Eileen streicht ihm sanft über die grauen Haare. Er
reißt den Kopf herum, verblüfft über die Berührung. »Ich bin's nur«, sagt sie.
    Er lächelt, kneift die Augen
zusammen, holt Luft, als wollte er etwas antworten. Aber ihm fällt nichts ein.
Sie lässt es gut sein.
    Schließlich, später, dreht er
sich doch um. Sie sitzt vor der Schublade mit den alten Fotos. Ein Geschirrtuch
hängt ihr von der Schulter, sie trocknet die Finger ab, sie sind feucht vom
Kartoffelschälen, von Geschirrspülmittel und gewürfelten Zwiebeln und riechen
nach Decken mit Mottenkugelduft und Erde in Blumenkästen - Eileen ist eine
Frau, die alles berühren, schmecken, fühlen muss. Sie setzt die Lesebrille auf.
    »Was suchst du denn da?«,
fragt er.
    »Ach, ein Foto von mir in
Vermont, als ich noch klein war. Will ich Didier zeigen.« Sie steht auf und
geht mit dem Album zur Wohnungstür. »Du hast heute Abend schon was vor, oder?«
    »Hm.« Er nickt das Fotoalbum
an. »Stück für Stück.«
    »Was heißt das denn?«
    »Ziehst du nach drüben.«
    »Nein.«
    »Darfst du aber ruhig.«
    Er hat ihrer Freundschaft mit
Didier, dem Mann von gegenüber, niemals im Weg gestanden. Eileen ist noch nicht
fertig mit diesem Teil des Lebens, mit Sex, so wie Lloyd. Sie ist achtzehn
Jahre jünger als er, und früher hat ihn diese Kluft scharf gemacht, jetzt mit
siebzig trennt sie ihn von ihr wie tiefes Wasser. Er wirft ihr einen Kuss zu
und geht wieder an seinen Fensterplatz.
    Die Dielen im Treppenhaus
knarren. Didiers Tür geht auf und wieder zu - bei ihm klopft Eileen nicht an,
da geht sie einfach hinein.
    Lloyd starrt auf das Telefon.
Seit Wochen ist er keinen Artikel mehr losgeworden, er braucht Geld. Er ruft
die Zeitung in Rom an.
    Ein Volontär stellt ihn zum
Nachrichtenchef Craig Menzies durch, einem Bedenkenträger, der immer kahlköpfiger
wird und meist bestimmt, was wann erscheint. Menzies sitzt praktisch zu jeder
Minute des Tages an seinem Schreibtisch - der Mann kennt im Leben nichts als
Nachrichten.
    »Moment Zeit für 'ne Story?«
    »Bin 'n bisschen unter Druck.
Kannst du's mir schnell mailen?«
    »Geht nicht. Problem mit
meinem Computer.« Das Problem besteht darin, dass Lloyd keinen Computer hat,
sondern immer noch auf einem uralten Word Processor von 1993 schreibt. »Ich
kann aber was ausdrucken und faxen.«
    »Dann erzähl's mir schnell.
Aber könntest du bitte deinen Computer mal wieder zum Laufen kriegen?«
    »Alles klar: Computer
reparieren. Schon notiert.« Er kratzt mit dem Finger über die Notizblockseite,
als könnte er dadurch eine Idee herauskitzeln, die besser ist als die schon hingekritzelte.
»Hättet ihr Interesse an einer Reportage über den Ortolan? Ist eine
französische Delikatesse, ein Vogel - ich glaube, eine Art Fink -, und der
Verkauf ist illegal. Die stecken den in einen Käfig, stechen ihm die Augen aus,
damit er Tag und Nacht nicht unterscheiden kann, dann füttern sie ihn rund um
die Uhr. Wenn er richtig gestopft ist, legen sie ihn in Cognac ein und kochen
ihn. War Mitterands
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