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Gewalt ist eine Loesung

Gewalt ist eine Loesung

Titel: Gewalt ist eine Loesung
Autoren: Schubert Stefan
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einen moralisch einwandfreien und gesetzestreuen Menschen zu machen. Als junger Mann hatte ich auf den Straßen von Bielefeld eine prägende Erfahrung gemacht: dass Gewalt eine Lösung ist.
    Diese Prägung wurde während meiner Ausbildung beim BGS weiter gefördert. Uns wurde damals vermittelt, man könne sich an den Wochenenden ruhig prügeln – aber man solle sich dabei nicht erwischen lassen und um Gottes willen nicht verlieren. Diese Ansagen sogen wir zu jener Zeit begeistert auf.
    Heute noch ist im polizeilichen Alltag Gewalt durchaus eine Lösung. Geregelt ist das in dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Polizeibeamte, kurz UzwG. Diese Paragraphen zogen sich wie ein roter Faden durch meinen gesamten Polizeidienst. Ein Beamter gerät in eine brenzlige Situation, muss innerhalb weniger Sekunden die Lage beurteilen und eine möglicherweise schwerwiegende Entscheidung treffen. Setzt er Zwangsmaßnahmen durch? Ist er gezwungen, körperliche Gewalt anzuwenden? Handschellen? Pfefferspray? Schlagstock? Oder im schlimmsten Fall sogar die Schusswaffe? Alle diese Fälle sind im Gesetz zum unmittelbaren Zwang geregelt, der staatlichen Legitimation für Gewalt als eine Lösung.
    Kein Mensch beschließt eines Tages: »Ab heute werde ich zum Hooligan.« Dies ist eine schleichende Veränderung, die man selbst kaum bewusst wahrnimmt. Da war meine mir aufgezwungene jugendliche Gewalterfahrung in dem Schulbus und da war diese Liebe zum Fußball, zu Arminia Bielefeld, die mir mein Vater vermittelt hatte.
    Und plötzlich spürten wir ein Gefühl von Macht. Wir hatten unsere Rechte auf der Straße zurückerkämpft. Mit Gewalt. Und da war diese Gruppe von Fußballfans, deren Image geprägt war von Gewalt. Junge Männer, die auf gesellschaftliche Regeln und Normen keine Rücksicht mehr nahmen. Und die außerhalb des Gesetzes standen. Gespräche verstummten, wenn die Jungs der Blue Army eine Kneipe betraten. Wildfremde Menschen machten Platz. Straßen wurden abgesperrt, wenn wir uns in großer Zahl einem Stadion näherten. Wir hatten das Gefühl, respektiert zu werden, auch wenn dieser Respekt zu einem großen Teil auf purer Angst basierte.
    Eine Angst, die wir in unseren Kreisen nicht kannten und die wir auch nicht kennen durften. Heute denke ich, dass wir damals alle Angst hatten. Angst vor einer Niederlage und Angst davor, in dieser Gruppe nicht bestehen zu können. Angst vor dem Scheitern und manchmal – ganz selten und nie ausgesprochen – auch Angst vor dem eigenen Gewissen. Ängste und Befürchtungen, die auch in der Polizeiwelt eine große Rolle spielen.
    Die Kontrolle und die Überwindung dieser Ängste machten stark. Man fühlte sich überlegen. Unangreifbar. Besser. Einen Kampf in Unterzahl gewonnen oder einen übermächtigen Gegner bezwungen zu haben führte zu unbeschreiblichen Glücks- und Allmachtgefühlen. Ein Rausch. Zustände, die im normalen Leben kaum zu erreichen waren. Gefühle, die unbeteiligte Menschen nie hätten nachvollziehen können.
    Ja, ich habe in diesen Jahren viele Menschen belogen. Die Menschen, die mir nahestanden – meine damalige Freundin, meine Familie, gute Freunde –, und die Polizeibehörden. Ich habe gelogen, wenn ich mit blutverschmierten Klamotten nach Hause gekommen bin und von Stürzen, Unfällen und ähnlichen Missgeschicken berichtet habe. Und ich habe meine Vorgesetzten belogen, wenn ich an manchen Tagen nach einer Schlägerei mit verkrusteten Händen oder blauen Augen zum Dienst angetreten bin. Die auffällig vielen »Sport- oder Boxunfälle«, die mir zu jener Zeit passiert sind, haben niemanden stutzig gemacht. Keiner hat je nachgefragt, wenn ich meine Münchhausiaden präsentiert habe – keiner hat sich je gewundert, wie ein Mensch so viel Pech haben kann. Ich log aus Notwendigkeit und letztlich wurde ich ein Lügner aus Gewohnheit.
    Aber meine außergewöhnliche Freizeitbeschäftigung, die im krassen Gegensatz zu den ethischen Grundsätzen meines Berufes stand, machte mich letztlich zu einem guten, entspannten und vor allem auch gerechten Polizisten. Die Uniform musste keine Machtfantasien befriedigen. Die Uniform musste mir nichts geben, was ich im »normalen« Leben nicht schon gehabt hätte. Die Uniform war nicht mein Katalysator, sie war einfach nur ein Bekleidungsstück. Und dabei verkörperte ich doch für viele treue Staatsbürger geradezu das Böse. Dieser Schläger durfte und konnte kein guter Polizist sein. So etwas war
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