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Gewalt ist eine Loesung

Gewalt ist eine Loesung

Titel: Gewalt ist eine Loesung
Autoren: Schubert Stefan
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wollte.
    Minuten später standen die beiden Polizisten zur Begrüßung vor meinem Funktisch. Schon beim allerersten Blickkontakt konnte ich erkennen, dass der neue Kollege bei meinem Anblick innerlich zusammenzuckte. Und dann sah er mich verstört und ungläubig an. Seine Hand streckte er mir automatisch, wie in Trance, entgegen. Wir nickten uns zu und ich überlegte fieberhaft, ob ich das Gesicht irgendwoher kannte. Aber ich vermochte den Kollegen nicht einzuordnen. Hätte es sein können, dass er mich aufgrund der Berichterstattung über meinen Fall erkannt hatte? Oder war ich ihm in der Vergangenheit schon einmal »in schlechter Gesellschaft« über den Weg gelaufen? Ich konnte mir seine Reaktion nicht erklären. Er schaute mich noch immer seltsam verstört und verschüchtert an – und er schwieg. Bis die beiden Polizisten nach einer halben Stunde wieder gingen.
    Nur wenige Tage später drang ein neues Gerücht zu mir vor. Ich sei einer weiteren Straftat überführt worden, hieß es. Angeblich würde mir vorgeworfen, jemanden schwer verletzt zu haben. Der Fall sei absolut wasserdicht und ich müsste nun mit den schärfsten Konsequenzen rechnen. In mir brodelte es und die Ungewissheit machte mir in den folgenden Tagen schwer zu schaffen. Was konnten die damit meinen? Welche Schlägerei hatten sie wohl ausgegraben? Was für Beweise? Oder war es eine neue Schikane? Der Versuch, mich weiter mürbe zu machen?
    Die Antwort erhielt ich nur wenige Tage später von meinem Anwalt: ein weiteres Strafverfahren.
    Dieser neue Kollege, der mir in der besagten Nachtschicht vorgestellt worden war, kannte mich. Und nicht nur das. Sein Jochbein, das ich ihm Jahre zuvor gebrochen hatte, wurde noch immer von einer Titanplatte stabilisiert. Dieser neue Polizist war der Typ, den ich vor etwa viereinhalb Jahren im »Cobra« zusammengeschlagen hatte. An sein Gesicht konnte ich mich nicht mehr erinnern. Er konnte sich aber erinnern. Und wie!
    Die Angelegenheit hatte damals keine persönlichen Hintergründe. Sie baute sich auch nicht über Wochen oder Monate auf. Es war eine Kneipenschlägerei zwischen zwei angetrunkenen Männern. Jeder nahm für sich in Anspruch, der Coolere und Stärkere zu sein. Und diese Frage hatten wir damals abschließend geklärt. Nun hatte er mich erkannt und den Vorfall seinen Vorgesetzten gemeldet. Er und seine Freunde hatten zu jener Zeit Strafanzeige erstattet. Nur ein Mittäter war festgenommen und verurteilt worden – Thomas, der Pornokino-Kassierer. Mir, dem Haupttäter, war damals die Flucht gelungen, weil ich als Polizist gewusst hatte, wie ich entkommen konnte. Meine Identität konnte auch später im Zuge des Ermittlungs- und Strafverfahrens nicht festgestellt werden, weil meine Jungs dichtgehalten hatten. Aber nun hatten sie mich.
    Die mehr als vier Jahre alte Anzeige gegen unbekannt – wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung – lag ordentlich abgelegt, wie es sich für eine deutsche Behörde gehört, im Archiv. In nur sechs Monaten wäre der Fall verjährt gewesen. Mein Glück hatte mich endgültig verlassen. Wäre ich dem neuen Kollegen nur sechs Monate später über den Weg gelaufen, hätte man mir nichts mehr anhängen können. Aber immerhin: Hier handelte es sich um eine Sache, zu der ich stehen musste und zu der ich auch stehen konnte.
    Diese plötzliche Wendung brachte mich in große Schwierigkeiten. Meine ganze Verteidigungsstrategie brach in sich zusammen. Bisher hatten mein Anwalt und ich stets argumentieren können, ich sei zufällig in die Nähe von Hooligan-Krawallen geraten. Oder aus Neugier. Oder weil ich noch Kontakt zu alten Schulfreunden pflegte. Dies war alles hinfällig. Bei dem Tatort handelte es sich um eine stadtbekannte und berüchtigte Hooligan-Kneipe und sämtliche Beteiligten von damals waren einschlägig vorbestraft oder saßen zu jener Zeit gerade im Gefängnis. Der Einzige, der damals nicht überführt werden konnte, war der Polizist Stefan Schubert. Zur Einschätzung meiner Lage brauchte es kein abgeschlossenes Studium der Rechts-
wissenschaften.
    Es war überhaupt nicht mehr von Interesse, wer damals wen zuerst
angerempelt hatte oder nicht. Die »Cobra«-Schlägerei barg Aspekte, die absolut unstrittig waren: einen Jochbeinbruch, eine Platzwunde über dem rechten Auge, eine Platzwunde auf der Nase, Nasen- beinanbruch, eine Platzwunde über der rechten Mundseite, mehrere verstauchte Rippen und Verletzungen der Unterarme durch Fußtritte. Dass der Typ
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