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Gewalt ist eine Loesung

Gewalt ist eine Loesung

Titel: Gewalt ist eine Loesung
Autoren: Schubert Stefan
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mich angerempelt und zweimal aufgefordert hatte, mit ihm vor die Tür zu gehen, und dass er als Erster zugeschlagen hatte, würde bei keiner Gerichtsverhandlung interessieren. Seine Krankenakte war gleichsam Hauptankläger. Das war mir sofort klar.
    Die Polizeiführung hielt in diesem Fall dicht und gab nichts an die Presse heraus. Es wäre wohl auch schwer zu erklären gewesen, wa­rum ein Haupttäter, der aus den eigenen Reihen kam, jahrelang nicht zu ermitteln war. Diese Peinlichkeit wollte die Behörde sich ersparen. Was aber nicht mein Problem sein sollte. Ich erhielt zunächst einmal eine Vorladung der Staatsanwaltschaft zur Beschuldigtenvernehmung. Nach Rücksprache mit meinem Anwalt nahm ich den Termin allein wahr. Mein Verteidiger riet mir, ausschließlich meine Personalien zu nennen – kein Wort mehr. Mit dem neuen Ermittlungsverfahren gegen mich war ein erfahrener, hartnäckiger 50-jähriger Kriminalhauptkommissar, der sonst Mordfälle aufklärte, betraut worden. Im Vernehmungsraum saßen zusätzlich die Staatsanwältin und eine Protokollantin.
    Obwohl mich beide zu einer Aussage drängten, blieb ich bei meiner zuvor festgelegten Marschroute. Ich war mir sicher, das Polizeipräsidium schnell wieder verlassen zu können. Und damit hatte ich mich leider gründlich verschätzt.
    Der Kriminalbeamte kam schnell auf den Punkt: »Herr Schubert, da Sie keinerlei Angaben zu dem Tatvorwurf machen, lassen Sie uns keine Wahl. Hier ist der Antrag für eine erkennungsdienstliche Behandlung. Im Nachbarraum warten bereits sechs Beamte, die im Anschluss an diese Vernehmung eine Hausdurchsuchung in Ihrer Privatwohnung durchführen werden. Hier liegt bereits der Beschluss.« Er schaute mich ruhig an. Das saß. Jetzt würde Ernst gemacht werden. Die Artillerie wurde in Position gebracht. Erkennungsdienstliche Behandlung – das hieß Fingerabdrücke und Fotos von vorne und von der Seite. Verbrecherfotos. Ich wurde wie ein Krimineller behandelt. War ich auch einer?
    In meinem Gehirn waren kaum noch vernünftige Gedanken zu fassen. Alles ging kreuz und quer. Ich kannte diese Situation viel zu gut. Aber nur aus der Sicht der Gegenseite. Wie oft war ich in den vergangenen Jahren dabei, wenn ein Krimineller überführt worden war? Wie oft hatte ich mitverfolgt, wie ein Beschuldigter »erkennungsdienstlich behandelt« wurde? Hatte ich mir je Gedanken gemacht, wie es in den Köpfen dieser Menschen zugeht? Hatte ich mir je überlegt, wie sie sich dabei gefühlt haben mochten? Nein, solche Gedanken waren abwegig. Mit solchen Überlegungen hatte ich mich als Polizist nie befasst.
    »Eine Hausdurchsuchung? Mit welcher Begründung?«, fragte ich mit unsicherer Stimme. »Sie sollen in der Tatnacht ein auffällig gemustertes blaues Hawaii-Hemd getragen haben. Das wollen wir. Außerdem suchen wir nach Fotos, auf denen Sie mit Mitgliedern der Blue Army Bielefeld gemeinsam zu sehen sind. Wir wissen um Ihre engen Verbindungen zur Hooligan-Szene.« Ich besaß zwei gut gefüllte Schubladen mit Fußball-Fotos. Aufnahmen von Partys, aber auch Krawall-Bilder aus halb Europa. Da ich aber schon beim ersten Ermittlungsverfahren mit einer Hausdurchsuchung gerechnet hatte, waren alle Fotos bei einem guten Freund deponiert. Alle? Nein! Nur eine Woche zuvor hatte ich die Abzüge unserer letzten Glasgow-Reise bekommen. Eine Fotostrecke zeigte unser völlig demoliertes Hotelzimmer. Ich war geliefert. » Bilder? Ich habe keine Fotos. Ich besitze noch nicht einmal eine Kamera. «
    »Sie haben keine Kamera? Keine Fotos?«, bohrte der Ermittler nach. Ich musste versuchen, das Thema zu wechseln: »Was für einen Sinn soll die erkennungsdienstliche Behandlung haben?« Der Kripo-Beamte klärte mich auf: »Es gibt weitere Zeugen der Schlägerei. Anhand der Bilder und Ihres Hawaii-Hemds erhoffen wir uns, Sie zweifelsfrei als Schläger zu identifizieren.« Ich verlangte nach meinem Anwalt. In einem Nachbarraum durfte ich telefonieren – die Tür musste allerdings geöffnet bleiben, weil die Beamten befürchteten, ich könnte jemanden damit beauftragen, Beweismittel verschwinden zu lassen. Ich rief meinen Anwalt an – aber auch er konnte mir nicht helfen. Ich solle keine Aussagen machen und der Hausdurchsuchung zustimmen. Mehr könne er auf die Schnelle nicht für mich tun.
    Mir wurde schlecht. In diesem Moment fiel mir ein, dass die Eltern meiner neuen Freundin, die gerade eine wichtige Prüfung ihres Architekturstudiums bestanden hatte, bei uns zu Besuch waren.
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