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Gewalt ist eine Loesung

Gewalt ist eine Loesung

Titel: Gewalt ist eine Loesung
Autoren: Schubert Stefan
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war wie ein Schlag in die Magengrube. In derselben Sekunde verschwamm alles um mich herum. Das Gemurmel meiner Kollegen beim Kartenspiel, die verbrauchte Luft, die Töne aus dem Funkgerät – alles wurde blass und verzerrt. Mein Herz raste wie verrückt. Cool bleiben. Lies den Artikel, Schubert, und tu so, als wüsstest du von nichts, versuchte ich mir einzureden. Diese Schmierfinken von der Zeitung! Diese Scheiß-Bürokraten im Polizeipräsidium! Die wollten es mir also tatsächlich besorgen. Acht Jahre lang hatten die mich nicht erwischt und sie würden es auch jetzt nicht schaffen. Oder doch? Meine Gedanken überschlugen sich im Sekundentakt.
    Mit mir hatte keiner gesprochen. Kein Vorgesetzter hatte mich zur Rede gestellt. Was sollte das also? Woher wusste dieser Journalist von der Sache? Wie kam der zu seinen Informationen? Wollten die mich rausekeln? Hintenherum? Nicht von Mann zu Mann, sondern ganz perfide über die Medien? Was in diesem Text stand, stimmte sogar. Irgendwie. Aber ich würde kämpfen. So schnell würde ich mich nicht kleinkriegen lassen. Ich nicht!
    Ich versuchte, ruhiger zu werden. »Das ist ja ein Ding«, sagte ich – wie in Trance, als zöge mir jemand den Boden unter den Füßen weg. Rolf schaute mich nur an. Wortlos fragend und enttäuscht zog er die Zeitung wieder vor sich auf den Tisch und starrte ins Leere.
    Acht Jahre lang konnte mir niemand etwas anhaben. Acht Jahre lang hatte ich im Polizeidienst für Recht und Ordnung gesorgt und in meiner Freizeit als Fußball-Hooligan Nasenbeine und Kieferknochen unzähliger Menschen gebrochen, aber ich wurde bis dahin nie erwischt. Kein Eintrag in der Personalakte, keine Strafanzeige, keine Verurteilung. Gut, es kamen im Laufe der Zeit sechs Ermittlungsverfahren zusammen und das war schon eine ordentliche Anzahl. Aber alle blieben ohne Erfolg. Bewiesen konnte nie etwas werden. Dazu gab es bestimmt noch ein gutes Dutzend Verfahren, bei denen ich als Täter nicht ermittelt werden konnte, aber darüber wusste nur ich Bescheid. Und ein paar meiner Jungs. Die konnten schweigen. Warum also sollte mich mein Glück plötzlich verlassen?

2. Aufwärmprogramm –
Das erste Mal Gewalt
    Der Tod kam drei Mal, als ich gerade einmal 13 Jahre alt war. Innerhalb von nur sechs Monaten verlor ich drei Menschen, die mir nahestanden. Zuerst starb mein Vater an Krebs. Mein Vater, mit dem ich als kleiner Junge zum ersten Mal auf die Bielefelder Alm gegangen war und der mich nach der Scheidung meiner Eltern regelmäßig zu den Heimspielen der Arminia mitgenommen hatte. Drei Monate später verstarb meine Großmutter und weitere drei Monate später war der Lebensgefährte meiner Mutter tot – auch er erlag einer Krebserkrankung. Meine Mutter musste während eines halben Jahres drei Beerdigungen und drei Haushaltsauflösungen abwickeln – von der Trauer über den Verlust dieser Menschen einmal ganz zu schweigen.
    Mich hatten diese Todesfälle in der Schule so sehr zurückgeworfen, dass ich vom Gymnasium auf die Realschule wechseln musste, was – wie sich noch herausstellen wird – auch der Grundstein für meine spätere Hooligan-Karriere sein sollte. Denn mit dem Schulwechsel kam auch ein neuer Schulweg. Mit dem Bus, was sich als fatale Wende in meinem Leben erweisen sollte. Mein Lebensinhalt zu jener Zeit war der Fußball. Mit den Jungs aus meinem Bielefelder Stadtteil Stieghorst zusammen verbrachte ich einen Großteil meiner Jugend auf Bolzplätzen. Gewalt und Aggressionen kannten wir zu jener Zeit nicht. Es war eine heile Welt, in der wir da lebten. Fußball spielen, Arminia gucken, über Fußball reden und ein paar schwärmerische Blicke zu den Mädchen am Spielfeldrand, das war unser Leben. Alles war gut – oder so gut es eben ging. Aber irgendwann sollte diese heile Welt die ersten Risse bekommen.
    Mit meinem damals besten Freund Thomas musste ich jeden Morgen mit dem Bus zur Schule fahren. Nur eine Station weiter musste der Schulbus in der sogenannten »Bronx« halten. Es war eine neu errichtete Sozialbausiedlung, in der überwiegend Türken lebten. Dort stiegen fast täglich fünf junge Türken in unserem Alter zu. Die Jungs spielten sich fürchterlich auf und begannen, kaum im Bus, uns anzupöbeln. Sie gehörten zu einer größeren Gruppe, und wann immer sich die Gelegenheit für sie ergab, nahmen sie uns in die Zange. »Scheißdeutsche«, »Drecks-Kartoffelfresser«, »Scheiß-Nazis« – wir Jungs mit unseren 14 oder 15 Jahren wurden fast täglich
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