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Heinrich Spoerl

Heinrich Spoerl

Titel: Heinrich Spoerl
Autoren: ADMIN JR.
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Wenn wir alle Engel wären
    Gottes Sonne scheint auf Gerechte und Ungerechte.
    Sie scheint auch auf das kleine, weißgekalkte Bürgermeisteramt und ragt mit schrägen, leuchtenden Balken in die Kanzleistube hinein, wo an engbrüstigen Pulten Schreiber hocken und mit spitzen Federn schönes Papier in häßliche Akten verwandeln. In der Hauptsache führen sie Krieg gegen die Fliegen, die aus den benachbarten Ställen kommen und es sich in den Kopf gesetzt haben, fleißige Beamte an der Nase zu kitzeln oder ihnen in die Akten unerwünschte Punkte zu machen, die man mit einem großen Messer wieder ausradieren muß.
    Auch sonst ist vielerlei zu tun. Man muß die bleichsüchtige Zimmerlinde pflegen, ihr Wasser geben und die welken Blätter abknipsen, man muß um Punkt zehn Uhr die Frühstückspause machen, und nachher muß man aus einem alten Linienblatt einen Deckel für das Tintenfaß schnitzeln, und der Kalender muß abgerissen werden. Und dann muß man sich auch schließlich einmal ausruhen und nachdenken, ob es tunlich ist, vor dem Mittagessen noch eine neue Seite anzufangen. – Am lebhaftesten beschäftigt ist der Herr Kanzleivorsteher Christian Kempenich. Dafür ist er der Vorgesetzte. Er stelzt mit langen, harten Schritten durch die staubige Stube, schlägt mit dem Lineal unternehmungslustige Hiebe durch die Luft und hält seinen aufhorchenden Schreibern einen bemerkenswerten Vortrag.
    Insofern nämlich, als seine Kusine Zwillinge bekommen hat.
    Es ist ein beachtliches Ereignis; Zwillinge bekommt man nicht jeden Tag, er kann es auch nicht abschlagen, übrigens kommt es gut aus mit Himmelfahrt, und überhaupt und kurz und gut: er muß zur Taufe hinfahren.
    Wohin die Reise geht, wenn man fragen darf?
    Die Kusine wohnt in Köln.
    Köln?
    Die Schreiber fangen vor Begeisterung an zu schreiben.
    ***
    Kempenich streicht mit den Händen seinen flachen Scheitel zurecht, setzt sein rundes Strohhütchen auf und begibt sich nach Hause.
    Er hat keinen weiten Weg. In Weinheim a.d. Mosel gibt es keine, weiten Wege. Die Gassen laufen in den Fluß oder gegen den Berg und sind kurz und schief. Schief sind auch die Häuser, die Fenster, die Giebel. Sogar der Kirchturm ist schief.
    Himmelfahrt steht vor der Tür. Man rüstet zum Sommer. Kinder mit holprigen Wägelchen haben Heu geholt. Der alte Imhoven schlurft schläfrig durch die Sonne und wärmt seine gichtigen Finger an seiner Pfeife.
    Kempenich ist königlicher Laune. Der zarte Wind streicht schmeichelnd durch seinen blonden Schnurrbart, die großen runden Kinderaugen unter den hochgewölbten hellen Augenbrauen wollen gar nicht recht in das lange, ernste Gesicht passen und gucken lustig in die bunte Welt. Er flötet etwas, was man nicht erkennen kann. Er ist sehr für Musik und so unmusikalisch, daß vor seinen Flötentönen Katzen und Gänse entsetzt zur Seite springen. Kempenich hält es für Respekt.
    Denn er ist ein geachteter Mann. Alle kennen ihn. Schulmädchen knicksen, Bürger grüßen. Einer hält ihn an: Ob das wahr ist mit der Reise?
    Jawohl, nach Köln. – Nach Köln?
    Und grüßt noch einmal so tief.
    Kempenich ist bei der Mosel angekommen. Die kleine Fähre stößt gerade ab. Sie läuft mit einer Rolle an einem über den Fluß gespannten Drahtseil und befördert Ochsenkarren und Menschen zu den gegenüberliegenden Weinbergen.
    Hier unten, hart am Wasser, steht Kempenichs Häuschen, massiv und hochschulterig auf einem Steinsockel erbaut, der auch das lindenüberdachte Gärtchen trägt. Die kleinen mullverhangenen Fenster zwinkern in der Sonne. Von innen dringt Klavierspiel, und eine wohlklingende Frauenstimme, mitunter von einem sonoren Bariton unterbrochen, singt:
    Abscheulicher, wo eilst du hin?
    Ein alter Mann, der vorübergeht, fährt zusammen.
    Kempenich schmunzelt und steigt bedächtig die Steinstufen empor.
    ***
    Frau Kempenich hat nämlich Gesangstunde.
    Gesangstunde hat man beim Herrn Faletti.
    Faletti ist halb Sommerfrischler, halb Musiklehrer. Jedes Jahr, wenn der Frühling kommt, ist auch der Herr Faletti wieder da. Woher er kommt, und was er im Winter treibt, weiß man nicht genau. Was er darüber erzählt, ist unklar und nicht ohne Widersprüche. Er umgibt sich dadurch mit einem geheimnisvoll romantischen Schleier, und es gehört in Weinheim und Umgegend zum guten Ton, bei Herrn Faletti Musikunterricht zu haben. Bürgermeisters Else hat bei ihm sogar Italienisch. – Auch der Kanzleivorsteher Kempenich weiß, was sich für einen Mann seines Standes
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