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Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)

Titel: Der Mond ist nicht genug: Roman (German Edition)
Autoren: A. Lee Martinez
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EINS

    »Du tust es schon wieder«, sagte Sharon.
    »Ach?«
    Der Mond rief Calvin. Nach all der Zeit hätte er eigentlich daran gewöhnt sein müssen, aber es lenkte ihn trotzdem immer noch ab. Vor allem an Neumond, wenn der silberne Himmelskörper in der Dunkelheit verschwand.
    Fenris, dieses grässliche Wesen, kroch hinter dem Mond her. Der Mondgott wirkte in solchen Nächten wie ein Feuerball.
    Heute war es allerdings nur ein Halbmond, und in gewisser Weise machte es das noch schlimmer. Bei Vollmond war die Stimme kaum ein Flüstern, und das schreckliche Ding, das ihm nachjagte, färbte sich fleckig dunkelgrün, sodass es fast verschwand. Bei Neumond war die Stimme dann so laut, dass er beinahe hören konnte, was sie sagte. Und er fand Trost in dieser fremden Stimme. Nur bei Halbmond war die Balance zwischen seinem eigenen Geist und dem grässlichen Ding da oben gerade so, dass es nach seiner Seele greifen und kratzen konnte. Das war keine Absicht. Fenris war nur von seiner Lage verwirrt und verängstigt und suchte Zuflucht in seinem Geist, während er gegen den endlos tobenden Sturm des Wahnsinns ankämpfte.
    Sharon drehte Calvin sanft vom Fenster weg und half ihm mit seiner Krawatte. »Ich weiß nicht, warum du den Knoten nie richtig hinbekommst.«
    »Und ich weiß nicht, warum das überhaupt wichtig sein soll«, antwortete er. »Niemand schert sich um die Krawatte.«
    »Ach, sei ruhig.« Sie legte ihm eine Hand an die Lippen. »Es wird dich schon nicht umbringen, dich ab und zu ein bisschen gut anzuziehen.«
    Sharon war groß, ungefähr elf Kilo schwerer, als Hollywood es Nichtcharakterdarstellerinnen zugestand, und besaß ein Lächeln, das ihn immer wieder auf die Erde zurückbrachte.
    »Ich sehe nur nicht ein, warum …«
    »Du musst es nicht einsehen, Calvin, mein Schatz. Manchmal tun wir Dinge einfach nur, weil wir sie tun. Das ist Tradition.«
    Er gluckste. Traditionen bedeuteten ihm wenig. Wahrscheinlich, weil er Tausende davon hatte kommen und gehen sehen.
    »Wie sehe ich aus?«, fragte sie.
    »Hübsch«, antwortete er automatisch, ohne sich die Zeit zu nehmen, sie anzusehen.
    Sie war nicht beleidigt; sie war seine Stimmungen gewohnt. Sie legte ihm nur die Hand an die Wange und drehte sein Gesicht vom Nachthimmel weg. »Fertig?«
    Abwesend nickte er. »Ich denke schon. Aber könntest du nicht dieses eine Mal ohne mich hingehen?«
    Sharon runzelte die Stirn. »So läuft das nicht. Das weißt du doch.«
    »Könnten wir es nicht um ein oder zwei Tage verschieben?«
    »Wir haben einen sehr genauen Zeitplan«, antwortete sie. »Greg sagt, heute ist der Abend der Abende und dass die Ordnung der Himmel genau …«
    »Tja, wenn Greg das sagt.«
    »Sei nicht so!« Es klang beinahe, als schelte sie einen Dreijährigen.
    »Ich kann den Kerl einfach nicht leiden«, sagte Calvin.
    »Das geht allen so.«
    Sie wusste einfach immer, was sie sagen musste.
    In Wirklichkeit wurde Greg von vielen Leuten gemocht. Er war ein so liebenswürdiger Mensch, fast schon pathologisch. Greg wollte nicht nur, dass man ihn mochte. Er brauchte es. Calvin fand dieses Bedürfnis widerlich.
    »Ist es wirklich so schlimm, wenn wir es diesmal ausfallen lassen?«, fragte er.
    »Eine Menge Leute freuen sich auf heute Abend. Du willst doch nicht dafür verantwortlich sein, wenn es den Bach runtergeht, oder?«
    »Wohl kaum.«
    »Gut. Und jetzt zieh dir die Schuhe an. Der Fahrservice müsste jeden Moment hier sein.«
    Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und ließ ihm Zeit, sich fertig anzukleiden. Er besaß mehr Schuhe als jeder nichtmetrosexuelle Hetero-Mann haben sollte. Sharon kaufte sie ständig. Sie sagte, an den Schuhen könne man eine Menge über jemanden ablesen.
    Er selbst konnte nur erkennen, dass er zu viele Schuhe besaß.
    Er griff nach einem Paar weißer Turnschuhe.
    »Ach, Calvin!«, rief Sharon aus dem Nebenzimmer. »Wenn du unbedingt Schuhe tragen willst, die nicht zu dem Anlass passen, könntest du dann wenigstens die schwarzen nehmen?«
    Er schnappte sich die schwarzen Turnschuhe und zog den rechten an. Etwas, das dort nicht hingehörte, zappelte zwischen seinen Zehen. Entnervt zog er den Schuh wieder aus und drehte ihn um. Gelbe schleimige Pampe tropfte auf den Teppich.
    »Ach, Scheiße!«
    Dem Schleim wuchsen dicke braune Haare. Ein einzelnes Auge öffnete sich und blinzelte ihn an.
    »Sharon, ich habe es schon wieder getan!«
    Er griff nach dem Schleim, was aber nur zur Folge hatte, dass er unters Bett
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