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Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)

Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)

Titel: Mystic Tales - Sammelband mit 4 Romanen (German Edition)
Autoren: Vanessa Farmer
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Emily schreckt auf, und ihr Stickzeug fällt zu Boden. Sie löscht die umherspritzende Glut mit den Schuhsohlen.
    » Was ist geschehen? « Ihr Bruder Richard ist ins Zimmer gekommen. Vermutlich hat sie vor Schreck geschrien, erinnern kann sie sich daran nicht.
    » Ist schon gut, Richard. Es war der Wind « , sagt sie und setzt sich. » Es geschieht so oft und immer wieder erschrecke ich mich. Der Kamin muss gereinigt werden. «
    Richard, er ist neunzehn und schon ein ausgewachsener Mann, obwohl er etwas klein und zu breit gewachsen ist, geht zum Kamin und sortiert die Holzscheite. Er reicht ihr den Stickrahmen, der auf den Boden gefallen ist. Seine dunkle Jacke ist schmutzig von der Arbeit, an seinen Schuhen klebt Lehm. Auf dem Kopf trägt er eine weiche Kappe, und seine Augen funkeln zornig. » Vater ist wieder betrunken. « Sein Gesicht wirkt hart. Seitdem Mutter tot ist, hat er sich verändert. Etwas ist mit ihm geschehen, das Emily nicht nachvollziehen kann. Es ist, als sei seine dunkle Seite zum Vorschein gekommen. Aber vielleicht ist es auch nur der gesunde Zorn über die Schwäche des Vaters.
    » Hat er sich hingelegt? «
    » Nein, er sitzt in der Küche auf der Feuerbank, starrt aus dem Fenster und säuft. Er hat die Schafe in die Umzäunung gebracht, wo sie kaum noch etwas zu fressen haben, und die Pferde sind in der Koppel. So braucht er sich um nichts zu kümmern. Alles andere habe ich gemacht, damit wir nicht völlig herunterkommen. «
    Emily schweigt, denn das Verhalten ihres Vaters kennt sie, und sie findet es unausstehlich.
    Sie sitzt am Kamin im großen Raum, den man für gewöhnlich » das Haus « nennt. Normalerwiese ist er Küche und Empfangszimmer in einem, aber Mutter wollte es anders und verbannte die Küche eine Wand weiter, um die Brandgefahr zu mindern und die Essensgerüche auszusperren. Über ihnen gibt es ein unterzimmertes Dach, wo sich vier Kammern befinden. Eine für sie, eine für Richard, eine fü r Vater und eine für Mutter, die nun leer steht. In den Fluren stehen Gerüste, auf denen Haferkuchen und Berge von geräucherten Rinds- und Hammelkeulen liegen, die einen betäubenden Duft verströmen. Die Fußböden sind aus weißem Stein, den zwei Hausangestellte penibel sauber halten, die hochlehnigen, schlichten Stühle sind grün gestrichen, lediglich Vaters Lehnstuhl ist schwarz. Er steht im Schatten.
    Emily schreckt erneut auf, als sie das Geräusch einer Droschke hört, die vor das Haus fährt. Um diese Zeit? Niemand hat seinen Besuch angekündigt. Jemand gibt dem Kutscher Anweisungen, dann pocht es an der schweren Tür. Richard geht, um zu öffnen. Emily legt das Stickzeug auf den Tisch neben die Bibel und die Kerze und dreht den Kopf zum Flur. Die Stimmen werden lauter, und eine dunkle Gestalt füllt den Türrahmen aus.
    Emily erkennt ihn sofort, und eine kalte Hand legt sich um ihr Herz.
    » Ich hoffe, ich störe nicht « , sagt Clifford Gald mit volltönender Stimme, der man anmerkt, dass es ihm nichts ausmacht, sie zu stören, denn er hat eigene Ziele. Emily ahnt, um was es geht, und sie beißt die Zähne zusammen. Ausgerechnet jetzt ist Vater betrunken. Richard schiebt sich an dem Hünen vorbei, der ins Licht tritt.
    Sein Rock ist aus Tweed, seine Hose aus Baumwolle. Emily weiß, dass sich unter dem weichen Hut, den er nicht abgenommen hat, schwarze Haare locken. Clifford Gald ist ein attraktiver Mann. Das kantige Kinn strahlt Stärke aus und die Stimme Durchsetzungsvermögen. Die schmale Nase wirkt wie die eines Adlers. Wären da nicht die Augen, die wie Kohle glühen und zum messerscharfen Mund passen, würde er durchaus etwas Freundliches ausstrahlen.
    » Wo ist der Herr? « , fragt er.
    » Mein Vater ist unpässlich « , sagt Richard.
    Clifford Gald lacht hart. » Aha, Mr Blackmore ist unpässlich. Sollten wir nicht ehrlich sein und sagen, er ist besoffen? «
    Emily springt auf. Ihre Handflächen streichen über den rauen Stoff des einfachen Kleides. » Ihr Verhalten ist unziemlich, Mr Gald. «
    » Meine Schwester hat Recht. Sie benehmen sich wie ein Unhold « , sagt Richard.
    Gald nimmt das Kinn des jungen Mannes und hebt dessen Kopf zu sich hoch wie das eines Kindes. Er sagt nichts, sondern lächelt, doch in diesem Lächeln liegt eine unverhohlene Drohung.
    Der junge Mann zieht den Kopf weg und ballt seine Hände zu Fäusten.
    Clifford Gald, dem das nicht entgeht, zieht die Brauen hoch und geht hinaus. Er weiß, wo er Kenneth Blackmore findet. Emily hört, wie er in die
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