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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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Entscheidungen.
    Die meisten modernen Gesellschaften sind völlig anders aufgebaut. Sie gehen von der Annahme aus, dass die Menschen gleiche Rechte haben. Auch das Recht, freie Entscheidungen zu treffen. Allerdings wird von den Menschen in der modernen Gesellschaftsordnung auch verlangt, dass sie die Verantwortung für ihre (vermeintlich) freien Entscheidungen übernehmen. Dass es hier aber schnell knifflig werden kann, zeigt sich, wenn jemand seine Entscheidungsfreiheit nützt, um gegen Regeln und Gesetze zu verstoßen.
    Selber schuld
    Nehmen wir Maria und ihren Freund Volker. Sie haben gemeinsam eine Sachbeschädigung begangen, Volker dazu noch Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Wenn sie beide 30 Jahre alt und stocknüchtern gewesen wären, würde der Richter andere Maßstäbe anlegen, als er es in diesem Fall tut. Doch weil Maria 17 ist, wird sie als Jugendliche beurteilt. Weil Volker noch vergleichsweise jung ist, wird auch er möglicherweise nicht wie ein Erwachsener behandelt, sondern wie ein Jugendlicher. Und weil er ziemlich betrunken war, wird der Richter vielleicht eine »verminderte Schuldfähigkeit« feststellen. Auf die Frage, wie viel Verantwortung sie für ihr Handeln übernehmen müssen, gibt es also eine andere Antwort als bei nüchternen Erwachsenen.
    In den modernen Rechtssystemen gilt es als ausgemachte Sache, dass Kinder gar keine Verantwortung für das übernehmen müssen, was sie tun. Ab dem 14. Lebensjahr geht es dann los mit der Strafmündigkeit. Auf dieses Alter ist zumindest in Deutschland die Grenze festgelegt, ab der das Jugendstrafrecht greift. Wer nach Ansicht des Gerichts Probleme mit der Reife eines Erwachsenen hat, kann auch nach dem 18. Geburtstag gemäß den Regeln für Jugendliche verurteilt werden – bis zum 21. Geburtstag. Andere Länder haben andere Altersgrenzen. Das allein zeigt schon, dass es eine Frage der Übereinkunft ist, wann jemand Verantwortung für sein Tun tragen sollte. Ob man mit 18 oder 20 oder auch mit 16 als volljährig oder voll strafmündig gelten sollte, ist kein Naturgesetz, sondern ein menschengemachtes Gesetz.
    Spinnst du?
    Dass die Sache mit dem freien Willen und der Verantwortung etwas schwammig ist, zeigt sich auch dann, wenn die Frage aufgeworfen wird: »Ist der Täter eigentlich noch normal? Oder ist er verrückt?« Denn Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Krankheiten können nach den Regeln der modernen Rechtssysteme für vieles keine Verantwortung übernehmen. Also auch nicht für Rechtsverstöße. Deswegen wird der junge Mann, dem Stimmen in seinem Kopf gesagt haben, er solle seine Mutter töten, vor Gericht anders beurteilt als derjenige, der ohne solche Stimmen einen Mordplan geschmiedet hat.
    Gerade beim Strafrecht zeigt sich, dass die Frage »Ist das noch normal?« einen sehr schnell in unwegsames Gelände bringt. Wer sich selbst als normal betrachtet, wird sagen: Jemand wie der Norweger Anders Behring Breivik, der im Sommer 2011 mit eiskalter Seelenruhe 77 ihm völlig unbekannte Menschen getötet hat, ist nicht normal. Einer, der durch ein Jugend-Camp läuft und lauter junge Leute totschießt, die er noch nie gesehen hat, muss irgendwie verrückt sein. Nun sehen aber die modernen Rechtssysteme vor, dass »Verrückte« nicht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden. Sie werden zwar ebenfalls weggesperrt. Aber nicht ins Gefängnis, sondern in die Psychiatrie.
    In der Psychiatrie sollte – theoretisch zumindest – versucht werden, die psychische Krankheit solcher Täter zu behandeln. Das Ziel: Sie sollen später wieder unter gesunden Menschen leben können. Wer einem andern ein Messer in den Bauch stößt, weil er Stimmen hörte, die ihm das befohlen haben, der soll so behandelt werden, dass er solche Stimmen nicht mehr hört. Oder ihnen zumindest nicht mehr gehorcht. Dann kann er vielleicht irgendwann wieder in die Welt der Gesunden zurückkehren. Und das Messer in der Küchenschublade lassen.
    Wer hingegen jemand anderem ein Messer in den Bauch rammt, weil er ihn bewusst verletzen oder gar töten will, der kommt nicht in die Psychiatrie, sondern ins Gefängnis. Auch hier gilt das Ziel, dass er später wieder in die Gemeinschaft der Nicht-Kriminellen zurückkehrt. Der Kriminelle soll resozialisiert werden. Das Rechtssystem geht also davon aus, dass
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