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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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deshalb nach Ansicht der Forscher Berger und Luckmann nichts anderes als eine »soziale Konstruktion«. Das klingt ein bisschen wissenschaftlich-sperrig. Aber es lohnt sich, mal darüber nachzudenken, was das bedeutet. Die Wirklichkeit wird ständig neu konstruiert. Von der Gesellschaft. Von uns.

Kapitel Zwanzig
    Die Macht der Alten.
    Warum die Jugend von heute doppelt gekniffen ist. Und was das mit den Alten zu tun hat.
    Regeln, Rollen, Normen, soziale Systeme, Gesetze – sie alle haben dich also im Griff, liebe Leserin und lieber Leser. Es kommt aber noch schlimmer. Die, die Regeln und Normen infrage stellen könnten, werden immer weniger. Gemeint ist: die Jugend. Das ist nicht nur für die Jugend selbst ein Problem. Sondern für die gesamte Gesellschaft. Warum?
    Darum: Stellen wir erst einmal die Behauptung auf, dass es Kinder, Jugendliche, geistig junge Leute sind, die die gängigen Regeln immer mal wieder hinterfragen. Stellen wir weiterhin die Behauptung auf, dass das schon immer so war, solange es Menschen gibt. Es ist ja kein Zufall, dass es jemand weit unter der Schwelle der Volljährigkeit ist, der im Märchen von »Des Kaisers neue Kleider« die eine kluge Frage stellt. Die erwachsenen Normbewahrer hatten sich auf einen gigantischen Stuss geeinigt von Kleidern, die so fein gewebt sein sollten, dass nur Dumme sie nicht sehen konnten. Diese Übereinkunft, diese gesellschaftliche Norm lässt in jenem hübschen Märchen wer auffliegen? Ein unmündiges Kind.
    Und stellen wir außerdem eine weitere Behauptung auf: Normen und Regeln zu hinterfragen, ist ganz gut. Wenn nichts hinterfragt wird, versinkt die Welt entweder im Wahnsinn oder im Spießertum. Oder in beidem. Im spießigen Irrsinn.
    Wenn wir nach allen diesen Behauptungen dann einen Blick in die Vergangenheit werfen, stellen wir fest: Lange Zeit waren jüngere Leute in der Mehrheit. Die 16- oder 20-Jährigen vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende hatten auch damals schon nicht den Besitz und die Macht, über die die Alten verfügten. Aber sie waren ihnen wenigstens zahlenmäßig überlegen. Noch im Jahr 1980 gab es rund zehn Millionen 14- bis 20-Jährige in Deutschland – aber nur etwa halb so viele 64- bis 70-Jährige. Das hieß auch: Was zunächst nur Jugendkultur war, wurde bald schon allgemeine Kultur.
    Denn die Jungen und die Fast-noch-Jungen waren die Mehrheit. Was jugendliches Lebensgefühl war, strahlte bald schon auf die gesamte Gesellschaft aus. Popmusik, Jeanstragen, Frisuren, die nicht aussehen wie bei Opa – was anfangs Minderheitenkultur war, wurde ziemlich bald Mehrheitskultur. Und es waren bislang stets die Jüngeren, die dafür gesorgt haben, dass sich die Spielregeln der Gesellschaft ändern. Es waren in den 1960er- und 1970er-Jahren ja nicht die alten Frauen, die es erkämpft haben, dass die alten Männer endlich gleiche politische Rechte für beide Geschlechter zugestanden haben. Das haben die (damals) jungen Frauen erledigt.
    Frauenrechte, Schwulenrechte, Bürgerrechte, Frieden, Antifaschismus, Umwelt, Freiheit im Netz – sicher sind bei solchen Themen auch eine Menge Ältere mit unterwegs. Aber den Anstoß geben Junge.
    Noch in den 1980er-Jahren waren die Jungen also in der Mehrheit. Dreißig Jahre später, im Jahr 2010, hat sich die Zahl der 14- bis 20-Jährigen halbiert. Denn die Mütter von heute bringen schon lange nicht mehr so viele Kinder auf die Welt wie ihre Mütter oder Großmütter. Nicht gesunken ist die Zahl der Alten. Die ist rasant gestiegen. Von denen gibt es inzwischen mehr als Junge.
    Das wirft nicht nur die Frage auf: »Wer soll künftig noch Renten bezahlen?«, über die in der Politik ständig debattiert wird. Es stellt sich auch die Frage: »Wie lässt sich verhindern, dass das Land verspießert?« Die Alten, Mittelalten, Nochnichtganzsoaltenabernichtmehrjungen erdrücken die Jungen mit ihrer schieren Zahl. Früher hieß es: »Trau keinem über 30.« Heute müsste es heißen: »Wenn acht von zehn Leuten über 30 sind, kann man es sich da wirklich leisten, all denen nicht zu trauen?« Zumal eines klar ist: Die Alten haben das Geld. Sie machen die Gesetze. Sie bestimmen, wie man sich verhält. Sie haben die Macht.
    Es kommt aber noch schlimmer. Die Alten bestimmen auch – oder sie versuchen es zumindest –, was witzig ist (Oliver Pocher hat seinen
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