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Ihr schafft mich

Ihr schafft mich

Titel: Ihr schafft mich
Autoren: Nikolaus Nuetzel
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Beispiel würden sie sagen, dass sie nicht daran glauben, Jesus Christus sei leibhaftig in den Himmel aufgefahren, wie es im christlichen Glaubensbekenntnis heißt. Und sie glauben auch eher nicht daran, dass Christus zur Rechten Gottes sitzt. An irgendetwas glauben viele junge Leute aber schon. Nur wenn sie es in Worte fassen sollten, dann wird es schwer. »Irgendwas mit Buddhismus«, könnte eine Antwort sein.
    Wer vor hundert Jahren als 17- oder 18-Jähriger so etwas gesagt hätte, wäre wahrscheinlich für wahnsinnig gehalten worden. Oder er hätte Ärger wegen Gotteslästerung bekommen. Schließlich galt bis vor gar nicht langer Zeit als Norm, gottesfürchtig zu sein. Das ging so weit, dass in geschriebenen Texten das Wort »Gott« hervorgehoben wurde, indem nicht nur das G als Großbuchstabe geschrieben wurde. Man schrieb GOt t oder unser HERR . Wenn ein Schüler heute in einem Schulaufsatz GO tt schriebe, dann würde er wahrscheinlich vom Lehrer gefragt, ob er sich über ihn lustig machen will. So ändern sich die Zeiten.
    Es ist also heute in vielerlei Hinsicht einfacher, autonom zu sein, frei zu sein. Dennoch fühlen sich viele – gerade junge – Menschen alles andere als frei. Wobei sich die Frage stellt: Was kann das eigentlich heißen, frei sein?

Kapitel Achtzehn
    Ich will hier raus! Ich will! Ich will?
    Wer will etwas, wenn ich etwas will? Bin ich frei? Kann ich überhaupt frei sein?
    Stellen wir uns Maria vor. Sie wollte eigentlich, dass dieser Abend ganz anders verläuft. Es sollte nett werden. Ihr Freund Volker wollte ihr zeigen, wie man sich beim Sprayen »so richtig frei fühlt«. Jetzt sitzt sie auf einer Polizeiwache und fühlt sich ziemlich unfrei. Nachdem die Polizisten ihre Personalien aufgenommen haben, wartet sie darauf, dass ihre Eltern sie abholen. Noch unfreier dürfte sich Volker fühlen. Er sitzt einige Meter entfernt in einer sogenannten Gewahrsamszelle. Er war ordentlich angetrunken zum Spray-Treffen gekommen. Als sie von der Polizei erwischt wurden, hat er sich mit den Polizisten Rempeleien geliefert. Dabei ist seine Faust im Gesicht eines Polizisten gelandet. Auch er hat von den Polizisten einiges abbekommen. Er kann sich nicht erinnern, dass ihm seine Schulter jemals so wehgetan hat.
    Welche Konsequenzen der 19-jährige Volker deshalb zu erwarten hat, wird wahrscheinlich ein Richter klären. Seine 17-jährige Freundin Maria wird wohl ebenfalls Ärger bekommen, wenn auch nicht so großen. Zunächst wollen aber ihre Eltern wissen: »Warum?« Und sie antwortet: »Weil ich es wollte .« Weil sie ein anderes Leben führen will als ihre Eltern in ihrem Vorort-Reihenhaus.
    Also hat sie sich die Haare schon vor einiger Zeit blau gefärbt. Sie kifft immer mal wieder. Am liebsten würde sie abhauen. Frei sein. Aber das lässt sich irgendwie nicht machen. Also mal Sprayen ausprobieren. Sich frei fühlen, indem man etwas tut, das nicht erlaubt ist.
    Ich bin so frei?
    Wenn es um Normen und Regeln geht, geht es immer auch um Freiheit. Es geht darum, was geschieht, wenn der Einzelne seinen Willen auslebt – und dabei vielleicht mit dem, was andere wollen, in Konflikt gerät. Maria war sicher, sie würde nach einem Stück Freiheit greifen, als sie die Spraydose in die Hand nahm. Und sie ist auf der Polizeiwache sicher, dass sie dafür bestraft werden soll, einfach nur frei sein zu wollen. Dass es so etwas wie Freiheit gibt, steht für sie außer Frage.
    Wenn jemand sagen würde, »Freiheit existiert nicht«, würde Maria das wohl für reichlich bescheuert halten. Dennoch ist das unter Hirnforschern inzwischen die Überzeugung einer breiten Mehrheit. Einen völlig freien Willen, mit dem jeder Einzelne entscheiden kann, was er tut und was er lässt, gibt es nicht. Ausgangspunkt für diese Einschätzung sind Erkenntnisse, die in den vergangenen Jahrzehnten bei der Erforschung der Vorgänge im menschlichen Gehirn gewonnen wurden.

    Viele Hirnforscher folgen inzwischen einer Argumentation, die in folgende Richtung geht: Wenn Menschen etwas sehen, hören oder fühlen, dann laufen dabei im Gehirn Prozesse ab, die sich naturwissenschaftlich beschreiben lassen. Im Gehirn sind chemische und biologische Substanzen sowie elektrische Ströme aktiv. Dabei gehorchen sie Naturgesetzen. Wenn ein Ablauf aber Naturgesetzen gehorcht, spielt der Begriff »Freiheit« dabei
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