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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Autoren: Veit Heinichen
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Triest, 12. September 1977
    Elisa de Kopfersberg hatte nicht mit hinausfahren wollen an diesem Tag. Schon die Vorstellung, mit ihrem Mann auch nur eine Minute auf dem Motorboot verbringen zu müssen, war für sie außerordentlich unangenehm. Sie würde sich in den Schatten setzen und sich auf ihr Buch zu konzentrieren versuchen, während er mit zusammengekniffenen Lippen und sturem Blick zu einem abgelegenen Ankerplatz vor der Steilküste fuhr. Irgendwann, das wußte sie, durchbräche er das Schweigen und würde ihr erst leise, dann immer lauter Vorwürfe machen.
    Elisa traf sich an Sonntagen lieber mit ihren Freundinnen in der »Lanterna«, dem ältesten Adria-Bad Triests, das unter Maria Theresia erbaut worden war und bis heute die Tradition getrennter Abteilungen für Männer und Frauen pflegte. Ihren kleinen Sohn durfte sie noch ins Frauenbad mitnehmen, er war noch nicht ganz sechs Jahre alt. In der »Lanterna« fühlte sie sich geborgen und fand Verständnis bei ihren Begleiterinnen. Natürlich ahnte sie, daß ihr Mann eine Affäre hatte, auch wenn er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Er steckte in finanziellen Schwierigkeiten und hoffte, daß sie ein weiteres Mal seine Schulden beglich. Doch diesmal blieb Elisa eisern. Diesmal gab es keinen Grund mehr, ihm beizustehen. Als sie ihm seinen Fehltritt auf den Kopf zusagte, hatte er alles abgestritten. »Und wenn es wirklich so wäre«, hatte er geschrien, »dann solltest du dich nicht darüber wundern. Du hilfst mir nicht und interessierst dich einen Dreck für meine Probleme.« Einmal hatte er sie geschlagen, ein anderes Mal versuchte er es mit Blumen und einem Brillantring, mit Zärtlichkeiten, die ihr zuwider waren und vor denen sie sich in ihrem Zimmer einschloß mit dem weinenden Kind.
    Nun war sie also doch wieder weich geworden. Spartaco, ihren Sohn, hatte sie mit den Freundinnen in die »Lanterna« geschickt, weil ihr Mann es so wollte. Sie sollten allein sein, um sich endlich auszusprechen, hatte er gefordert.
     
    Rote Leuchtraketen zogen ihre rauchige Spur in den stahlblauen Mittagshimmel. Ihr Schweif blieb, den Kondensstreifen der Flugzeuge ähnlich, noch lange in der Luft stehen. Der Lärm der Boote der Küstenwache schreckte die Badegäste auf, die sich entlang der Steilküste des Golfes von Triest der Hitze ergeben hatten. Ihre Autos säumten die dreißig Kilometer der Küstenstraße nach Duino, die von Barcola an Miramare vorbeiführte und sich dann durch die Kalkfelsen vor Santa Croce und Aurisina schlängelte.
    Es war ein Spätsommertag mit über fünfunddreißig Grad im Schatten, einer sanften Brise der Stärke zwei und einem leicht bewegten Meer. Die Sicht war klar, der Wind hatte seit Tagen alle Wolken vertrieben, und der Dom von Pirano schien am Horizont auf einem glänzenden Lichtstreifen über dem Meer vor der istrischen Halbinsel zu schweben. Im Westen ritten die Inselchen der Lagune von Grado auf von der Sonne gleißenden Wasserschichten. Die Zeitungen sprachen von einem Rekordsommer.
    Die Zeit schien angehalten, bis plötzlich in den Badeanstalten die Lautsprecher zu schnarren begannen und mit verzerrtem Klang die Badegäste aufriefen, schnellstmöglich das Wasser zu verlassen. Schwarze Flaggen signalisierten Gefahr. Haialarm.
    Den ganzen Sommer über war es ruhig geblieben, im Gegensatz zu den Vorjahren hatte der »Piccolo«, die Tageszeitung von Stadt und Region, monatelang nicht von Haien berichtet. Die Tiere verirrten sich in dieser Jahreszeit nur selten in den warmen Golf, sie zogen kältere Gewässer vor.
    Für den »Piccolo« waren sie ein gefundenes Fressen in den Sommermonaten. Man berichtete von Haien, die ebenso Thunfische oder Delphine sein konnten, vor allem aber mehr als vierzig Meilen südlich gesichtet wurden, vor Istrien, am Quarnero, der kroatischen Küste bei Fiume, bei Abbazzia und Pola, wo das Meer tiefer und kühler ist. Bevor einer nach Norden durchkam, verfing er sich eher in den Schleppnetzen der Fischkutter, um dort qualvoll zu verenden, oder wurde von den aufgeregten Fischern erlegt, die bereits Ausrüstung und Fang ruiniert sahen. Doch wenn tatsächlich einmal ein richtiger Hai die Ufer der nördlichen Adria unsicher machte, dann war was los. Schiffe der Küstenwache fuhren hinaus, auf denen die Besatzungen am Bug der Boote standen und die Wasseroberfläche nach der verdächtigen Rückenflosse absuchten. Der »Piccolo« aber mußte meist auf Archivfotos zurückgreifen. Zu selten hatte die Jagd Erfolg.
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