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Delia, die weisse Indianerin

Delia, die weisse Indianerin

Titel: Delia, die weisse Indianerin
Autoren: Marie Louise Fischer
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Ein Klavier ist ein schönes und klangvolles Instrument, und es macht Freude, darauf zu spielen, jedenfalls wenn man es kann. Aber es erst zu lernen, ist nicht ganz so angenehm, besonders dann nicht, wenn die Klavierstunde auf den ersten schönen Frühlingstag des Jahres fällt und der Sonnenschein verlockend durch die zugezogene Gardine blinzelt. Das ist heutzutage so und war nicht anders vor weit mehr als hundert Jahren, ganz genau gesagt: im Jahr 1850.
    Denn im Jahr 1850, am 28. März, beginnt die Geschichte, die ich euch berichten will. Es ist die Geschichte meiner Urururgroßmutter. Nun braucht ihr aber nicht zu fürchten, dass ich euch etwas über eine urururalte Dame erzählen werde, nein, bestimmt nicht. Im Jahr 1850 war meine Urururgroßmutter – sie war auf den schönen Namen Delia getauft, Körner hieß sie mit Nachnamen – ein Mädchen von neun Jahren, und sie war nicht braver und nicht schlimmer als neunjährige Mädchen heute.
    Ihre glänzenden, dunklen Augen blickten manchmal nachdenklich und verträumt, meist aber sehr unternehmungslustig in die Welt. Ihr Näschen, das auf dem Rücken von ein paar winzigen Sommersprossen gesprenkelt war, hatte einen leichten Schwung nach oben. Ihr Mund war voll und rot, und wenn sie lachte, reichte er fast von einem Ohr bis zum anderen; dann wurden ihre spitzen, frechen Eckzähne sichtbar, und in ihren runden Wangen bildeten sich Grübchen. Kurzum, Delia sah so aus, wie wohl die meisten von euch sich eine Freundin wünschen, eine Kameradin, die zu jedem Spaß aufgelegt ist und mit der man Pferde stehlen kann.
    Aber sie war ganz anders angezogen als die Mädchen heutzutage. Sie trug ein buntgeblümtes Seidenkleid mit Puffärmeln, dessen Oberteil ganz eng war und dessen weiter, abstehender Rock bis zu den Waden reichte. Darunter guckten noch ein langes, mit Spitzen verziertes Höschen, weiße Zwirnstrümpfe und schwarze Schnallenschuhe hervor. Delias lockiges, dichtes Haar war in der Mitte gescheitelt und zu zwei festen Zöpfen gebändigt, die über den Ohren zu Schnecken gerollt waren.
    Lustlos saß Delia an diesem schönen Frühlingsnachmittag am Klavier und hämmerte ihre Etüden herunter, während ihr Blick immer wieder von dem Notenbuch weg und zum Fenster glitt. Ida Müller, eine hagere ältere Frau – sie war nie aus dem Städtchen Schönau herausgekommen, aber sie legte Wert darauf, „Mademoiselle“ genannt zu werden, denn damals galt alles, was Französisch klang, als schick , schlug mit einem Stöckchen den Takt dazu.
    „Delia“, sagte sie vorwurfsvoll, „du hast schon wieder gepatzt! Noch einmal von vorn!“
    „Entschuldigen Sie, Mademoiselle!“ sagte Delia gut erzogen, aber mit einem tiefen Seufzer.
    „Wo hast du nur heute deine Gedanken?“
    Delia zog es vor, diese Frage nicht zu beantworten, denn sie war sicher, dass Mademoiselle Müller sie doch nicht verstehen würde. So blätterte sie wortlos das Notenblatt zurück und wollte gerade von vorn beginnen, als in die Stille hinein ein seltsames Geräusch von der Wohnungstür her zu vernehmen war.
    Hastig drosch Delia wieder auf die Tasten ein, aber diesmal dachte Mademoiselle Müller nicht daran, den Takt zu schlagen.
    „Was war denn das?“ fragte sie aufgebracht.
    „Ich weiß nicht“, sagte Delia, nicht ganz wahrheitsgemäß, ohne sich in ihrem Spiel unterbrechen zu lassen.
    „Hör sofort auf! Sei einmal ganz still!“ verlangte Mademoiselle Müller.
    Delia musste wohl oder übel dieser Aufforderung folgen und ließ die Hände sinken.
    Diesmal war das Geräusch noch deutlicher – ein ungeduldiges Scharren und Kratzen, dann plötzlich ein forderndes, helles Bellen.
    „Dieser Hund!“ sagte Mademoiselle Müller empört. „Du hast wieder den grässlichen Mops mitgebracht!“
    „Das ist nicht wahr!“ rief Delia. „Bestimmt nicht! Er muss mir einfach nachgelaufen sein!“
    Aber Mademoiselle Müller hörte gar nicht auf sie. „Er wird noch meine schöne Tür ruinieren!“ rief sie aufgebracht und rannte auf den Flur hinaus.
    Delia blieb auf dem Klavierstuhl sitzen und presste die Lippen aufeinander, um das aufsteigende Lachen zu unterdrücken. Sie wusste, dass es unklug gewesen wäre, Mademoiselle Müller noch mehr zu reizen. Sie hörte, wie die Klavierlehrerin die Wohnungstür öffnete, und da schoss auch schon der kleine graue Mops ins Zimmer und sprang wedelnd an ihr hoch.
    Nun müsst ihr wissen, dass ein Mops nicht wie andere Hunde mit dem Schwanz wedelt. Das Schwänzchen trägt er,
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