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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Pitman’s Secretarial College, wo ich Schreibmaschinenschreiben, Steno, Buchhaltung und Handelskorrespondenz lerne.
    Ich hatte immer gehofft, Lehrerin werden zu können, doch das Studium dauert zu lange. Aber wer weiß, vielleicht ist es mir in einigen Jahren doch noch möglich.
    Meine Steckenpferde sind Schreiben und Kleider schneidern, aber für beides habe ich leider zu wenig Zeit.
    Ich lege ein Foto von mir bei, das vor einigen Monaten aufgenommen wurde, und würde mich freuen, wenn Sie es meiner Mutter zukommen lassen könnten.
    Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, mir zu schreiben.
    Es ist sehr tröstlich für mich zu wissen, dass meine Mutter nicht ohne Freunde ist.
    Falls Sie sie sehen, grüßen Sie sich bitte ganz, ganz herzlich von mir und auch von ihrem zukünftigen Schwiegersohn.
    Ich hoffe, dass es nicht mehr lange dauert, bis wir uns wieder in die Arme schließen können, um alles nachzuholen, was uns die letzten Jahre nicht möglich war.
    Ich hoffe auch, dass sich bald eine Gelegenheit ergibt, dass ich mich persönlich bei Ihnen für Ihre Freundlichkeit bedanken kann.
    Es grüßt Sie von Herzen
    Ihre Marion Czarlinski
    Nachdem ich den Brief abgeschickt hatte, wartete ich sehnsüchtig auf eine Antwort meiner Mutter, doch es kam keine.
    Dann endlich, am Morgen des 9. Oktober 1945, an meinem Geburtstag, traf ein zweites Schreiben eines amerikanischen Korporals ein. Er teilte mir mit, dass er meine Mutter getroffen hatte, die inzwischen wieder in Berlin lebte. Es ginge ihr gut, und sie tue alles in ihrer Macht Stehende, um nach England kommen zu können.
    Das war mein Antwortbrief:
    Lieber Corporal Rohr,
    Sie können sich nicht vorstellen, welche Freude Sie mir mit Ihrem Brief gemacht haben! Ganz herzlichen Dank dafür!
    Zu hören, dass meine Mutter wieder in Berlin ist und dass es ihr gut geht, war mein schönstes Geburtstagsgeschenk.
    Vor einigen Monaten hat sich meine Mutter über amerikanische Soldaten bei mir gemeldet, und ich habe auch zurückgeschrieben, doch wie es scheint, hat sie diese Briefe nicht erhalten.
    Ich denke ständig an sie und wünschte, ich könnte ihr in irgendeiner Form helfen. Wie schön wäre es, ihr etwas schicken zu können!
    Es freut mich zu hören, dass Sie österreichischer Abstammung sind! Ich werde nämlich demnächst heiraten – einen Österreicher! Ich bin mit einem jungen Wiener verlobt. Er ist 23 und heißt Paul Nathanson.
    Meine Mutter wird sicher überrascht sein, wenn sie das hört, da ich noch recht jung bin, aber ich denke, dass ich reifer bin als andere Mädchen meines Alters, da ich sechs Jahre ohne meine Familie war.
    Paul und ich haben uns im Wohnheim für junge Flüchtlinge in Cambridge kennengelernt, wo ich bis letzten Sommer neun Monate lang gewohnt hatte.
    Seine Eltern sind reizend zu mir, sie wohnen in London, und wann immer ich einen Tag frei habe, besuche ich sie.
    Paul arbeitet in einem angesehenen Stoffunternehmen und lernt zuschneiden.
    Alle finden ihn sympathisch, und ich bin mir sicher, dass auch meine Mutter ihn mögen wird.
    Ich hoffe, sie ist mit unserer Heirat einverstanden.
    Sobald wir ein eigenes Heim haben, wollen wir sie zu uns holen, um ihr alle Liebe zu schenken, die sie während der letzten Jahre entbehren musste.
    Es grüßt Sie
    Ihre dankbare Marion Czarlinski
    Im November 1945 erhielt ich endlich eine Postanschrift meiner Mutter in Berlin und konnte ihr direkt schreiben. Ein herrliches Gefühl zu wissen, dass sie meinen Brief bald in den Händen halten würde!
    Doch als ich mich hinsetzte und im Kopf die ersten Worte auf Deutsch formulieren wollte, erschrak ich. Ich stellte fest, dass ich nicht mehr in der Lage war, auch nur ein Wort in meiner Muttersprache zu schreiben.
    Es war, als sei mein Deutsch komplett ausgelöscht worden, jedenfalls fiel mir kein Wort mehr ein.
    Deshalb schrieb ich letztendlich auf Englisch und hoffte, dass meine Mutter einen freundlichen Amerikaner finden würde, der ihr meinen Brief übersetzen würde.
    25. November 1945
    Liebste Mama,
    wie sehr hab ich mich danach gesehnt, Dir wieder direkt schreiben zu können – und nun ist es endlich so weit!
    Ich bin überglücklich darüber!
    Du kannst Dir nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als ich die Briefe der amerikanischen Soldaten erhielt, die mir von Dir berichtet haben. Ich war jedes Mal ganz aus dem Häuschen vor Freude.
    Dein erstes Lebenszeichen nach langer Zeit erhielt ich
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