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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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the Good Ship Lollipop« geträllert hatten – was uns nun wie in einem anderen Jahrhundert, wie in einem anderen Leben vorkam.
    So viele Jahre waren vergangen, seit ich Deutschland verlassen hatte und hier in England angekommen war. Und obwohl ich England unendlich dankbar war, dass es mir Asyl und eine Heimat geboten hatte, und obwohl ich überglücklich darüber war, dass Deutschland den Krieg verloren hatte, war mein Herz noch immer schwer bei dem Gedanken an meinen Vater, den ich nie mehr sehen würde, und an meine Mutter, die eventuell ebenfalls tot war.
    Doch dann, am 31. Mai 1945, rief mich die Schulleiterin in ihr Büro und teilte mir die wunderbare Nachricht mit, dass meine Mutter noch lebte.
    Sie überreichte mir diesen Brief:
    Liebe Marion,
    Sie kennen mich nicht, aber bitte erschrecken Sie nicht. Ich möchte nur Ihrer Mutter einen Gefallen tun und Ihnen und ihr Seelenfrieden schenken.
    Ich bin mit meiner Truppe durch Magdeburg gezogen und wurde im Haus von Herrn Alfred Michels einquartiert.
    Dort lebt auch Ihre Mutter – sie ist gesund und in Sicherheit – und sehnt sich nach ihrer Tochter. Herr Michels ist ein guter Mensch, und Ihrer Mutter geht es gut bei ihm, besonders seit dem Niedergang der Nazis. Und sie hat mich gebeten, Ihnen zu schreiben.
    Sie ahnen sicher, dass ich Jude bin – und es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen diese Zeilen zu schreiben.
    Die Stadt Magdeburg wurde schwer bombardiert, doch wie es das Schicksal wollte, blieb das Haus von Herrn Michels unbeschädigt.
    Ich habe auch einen Brief von Ihrer Mutter für Sie. Ich rechne damit, am 15. Juni in London zu sein. Vielleicht kann ich da auch einen Abstecher zu Ihnen machen. Falls das nicht möglich ist, lasse ich Ihnen den Brief über einen englischen Freund von mir zukommen. Ich hoffe, es geht Ihnen gut, und ich hoffe auch, dass mein Brief Ihnen eine große Sorge vom Herzen genommen hat.
    Ihr Sergeant Max Burkorn, 33206614, 387. Kompagnie, 363 Kampffliegertruppe
    Ich verließ das Büro der Schulleiterin wie auf Wolken und eilte zum 55 Club, wo – wie ich wusste – Paul auf mich wartete.
    Bis ich dort ankam, hatte sich bereits im Club herumgesprochen, dass meine Mutter noch lebte und dass es ihr gut ging.
    All die anderen Flüchtlinge freuten sich mit mir. Genau wie ich waren auch die meisten von ihnen aus Deutschland geflohen und hatten ihre geliebten Eltern im Feindesland zurücklassen müssen, wo sie um ihr Überleben kämpfen mussten.
    Kaum einer von ihnen sprach darüber, wie schmerzlich diese erzwungene Trennung von den engsten Familienangehörigen war, und ich hatte auch nie den Wunsch verspürt, sie danach zu fragen, denn mir war klar, wie wichtig es ist, bestimmte Sachen zu verdrängen.
    Doch mein Fall gab auch ihnen neue Hoffnung, denn wenn meine Mutter überlebt hatte, dann vielleicht auch ihre Eltern und Verwandten!
    Obwohl keiner von ihnen jemals Einzelheiten über das Schicksal seiner Eltern enthüllte, oder zumindest erst sehr viele Jahre später und manche nie, sollten die meisten von ihnen bitter enttäuscht werden.
    Denn wie sich herausstellte, war meine Mutter eine Ausnahme, und die Tatsache, dass sie in Nazideutschland überlebt hatte, ein Wunder.
    Ein Wunder, dass ich erst im Laufe der Jahre aufdecken und begreifen würde, voller Bewunderung und auch mit Schmerzen.

17
    DIE WAHRHEIT
    2. Januar 1941 – 31. Mai 1945
    Mein Vater ist am 2. Januar 1941 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin gestorben – angeblich eines natürlichen Todes infolge seiner schweren Kriegsverletzungen.
    Meine Mutter war jedoch immer der Meinung, dass er zum Teil auch aus Kummer über unsere erzwungene Trennung starb.
    Danach war meine Mutter – eine Frau, die von meinem Vater immer auf Händen getragen und so verwöhnt worden war, dass sie nicht einmal einen Scheck ausstellen konnte – in Berlin allein.
    Sie zog in möblierte Zimmer um, und immer wenn die neue Vermieterin das Formular ausgefüllt hatte, mit dem sie meine Mutter als neue jüdische Bewohnerin anmelden wollte, bot meine Mutter an, das Formular an ihrer Stelle einzuschicken.
    Dann nahm sie das Formular und verbrannte es.
    Trotz ihrer Sorgen, ihrer Einsamkeit und ihrer erschreckenden Lage als alleinstehende Frau in Berlin, dachte meine Mutter die ganze Zeit an mich im fernen England und tat, was ihr möglich war, damit ich nicht erfuhr, dass mein Vater tot war. Und gleichzeitig versuchte sie, mich doch langsam darauf vorzubereiten, dass ich keinen Vater mehr
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