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Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
Autoren: Anthony Mark
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PROLOG
    Bruder Cys Wandershow
der Apokalypse und Erlösung
    Die letzte mitternächtliche Windböe des Oktobers wehte den heruntergekommenen Schulbus in die Stadt.
    Abgenutzte Bremsen quietschten protestierend, als das Fahrzeug von der zweispurigen Bergstraße in Colorado abbog und auf dem offenen Feld ausrollte. Die schlampig aufgetragene weiße Lackierung – der Farbton hieß Himmelstor und kostete in Aces Eisenwarenladen in Leavenworth, Kansas, nur fünf neunundneunzig die Gallone – war von einer schmierigen, von zahllosen Tagen und Meilen kündenden Schicht aus Autobahndreck überzogen. Im geisterhaften Licht der untergehenden Mondsichel schimmerte sie wie verblichene Knochen. Die Falttür des Busses glitt ächzend auf, an beiden Seiten des Fahrzeugs schnellten zwei übermalte Stoppzeichen wie verkrüppelte Engelsschwingen empor. Bereue Deine Sünden jetzt mahnte das eine Schild, während das andere mit der Aufschrift Zwei für den Preis von einem warb.
    Ein Mann stieg aus dem Bus. Der Wind blies durch das trockene Gras um seine Knöchel und zupfte mit kalten Fingern an dem schwarzen Bestattungsunternehmeranzug. Eine lange Hand griff schnell in die Höhe, um den breitkrempigen Pastorenhut auf dem Kopf zu halten, dann blickte der Mann mit dunklen Augen in die Dunkelheit.
    »Ja, ein perfekter Platz«, flüsterte er mit einer Stimme, die zugleich an knirschenden Stahl und die in Honig eingelegten Pekannüsse des Südens erinnerte. »Ein wirklich perfekter Platz.«
    Dann beugte der Mann – den man in der Vergangenheit mit vielen Namen belegt hatte, der sich in diesen Tagen jedoch als Bruder Cy ansprechen ließ – seine vogelscheuchendürre Gestalt wie eine vom Sturm gekrümmte Kiefer dem Bus entgegen und rief in die geöffnete Tür hinein.
    »Wir sind da!«
    Ein Chor aufgeregter Stimmen antwortete ihm. Jemand schaltete die Busscheinwerfer ein, zwei Lichtbahnen durchschnitten die Nacht. Der hintere Notausgang schwang knarrend auf, und ein Dutzend schattenhafter Gestalten sprang hinaus. Sie zerrten ein schweres Bündel auf das Feld und entrollten es geschickt. Weitere unkenntliche Gestalten, die sich mit Pfählen und Seilen abmühten, strömten aus dem Hinterteil des Busses und gesellten sich eilig zu den anderen. Bruder Cy ging zur Feldmitte und schritt einen breiten Kreis ab; in genau abgemessenen Abständen grub er den Absatz seines ausgetretenen schwarzen Stiefels in den Erdboden. Als der Kreis vollendet war, trat er zurück und betrachtete ihn zufrieden. Hier würde seine Festung stehen.
    Segeltuch klatschte beim Entrollen.
    »Verflucht noch eins, paßt auf den Pfahl da auf!« rief Bruder Cy, als sich seine Arbeiter bemühten, einen Holzpfahl von der Länge und Breite eines Baumes aufzurichten. Vor ihm nahm ein flatternder Umriß Gestalt an, wie ein Elefant, der mühsam auf die Beine kam. Bruder Cy zog wie ein hungriger Löwe seine Bahnen darum.
    »Macht die Wand da im Boden fest!« brüllte er. »Entwirrt die Seile. Das Seil da kommt in den Flaschenzug. Jetzt zieht! Zieht gefälligst, oder das Reich des Finsteren wird euch verglichen mit der Hölle, die ich euch bereite, wie das Paradies vorkommen!« Bruder Cy stieß die schlaksigen Arme in die Höhe. »Zieht!«
    Ein Dutzend nur undeutlich erkennbarer Gestalten legte sich ins Zeug. Der Hügel schob sich selbst in die Höhe, ein Berg, den das Erdreich gebar. Endlich erreichte seine spitz zulaufende Mitte die obere Pfahlspitze. Seile wurden um Holzpflöcke geschlungen und verknotet, lose Segeltuchkanten in den Boden gehämmert, Taurollen weggeräumt. Wo noch Minuten zuvor das Mondlicht auf eine leere Ebene gefallen war, stand nun ein Zelt. Es handelte sich um ein altmodisches Zirkuszelt, das an so vielen Stellen zerrissen und wieder geflickt worden war, daß es aussah, als hätte man es aus den Hosen von hundert bitterarmen Clowns zusammengenäht.
    Bruder Cy schlug die großen Hände zusammen und lachte donnernd.
    »Laßt die Show beginnen!«
    Die schattenhaften Handlanger, die im Zwielicht wie Geistererscheinungen aussahen, eilten fleißig umher. Mehrfarbige Flaggen wurden entrollt, Klappsitze aus dem hinteren Teil des Busses entladen. In Dutzenden Zinnlaternen flackerte Licht auf. In einer leuchtenden Prozession trug man sie in das Zelt, bis es hell in der Nacht erstrahlte. Zuletzt rammte man neben dem Zelteingang ein Schild in den Boden, das in schwungvollen, gotischen Buchstaben verkündete:
    BRUDER CYS WANDERSHOW DER
APOKALYPSE UND ERLÖSUNG
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