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Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport

Titel: Ich war ein Glückskind - mein Weg aus Nazideutschland mit dem Kindertransport
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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beschönigenden Ausdruck hasse! Deportiert, ins Lager transportiert, exterminiert – nichts davon kommt dem tatsächlichen Grauen nahe!) blieb meine Mutter in Berlin und lebte als die arische Frau Dr. Hübner weiter.
    In der ständigen Gefahr, entdeckt zu werden, reiste sie im Mai 1943 nach Magdeburg, in ihre Geburtsstadt.
    Dort fand sie bei ihrer Jugendfreundin Greta Michels Unterschlupf, die dadurch, dass sie meine Mutter in ihrem Haus versteckte, ihr eigenes Leben, das ihres Mannes Alfred und ihrer Tochter Karen riskierte.
    Meine Mutter wohnte im Keller der Michels, kochte tagsüber für sie und ging sogar manchmal mit Greta in die Stadt.
    Wenn sie dabei ein Café oder eine Bar besuchten, kam es durchaus vor, dass SS -Offiziere am Nebentisch saßen. Doch die beiden Frauen tranken ihren Kaffee oder ihr Glas Wein, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Selbstverständlich trug meine Mutter bei diesen »Ausflügen« keinen Davidstern, wie es den Juden vorgeschrieben war, und wurde nicht erkannt und festgenommen.
    Doch um auf Nummer sicher zu gehen und keinen Verdacht auf die Michels zu lenken, die sie als Dienstmagd und ständige Bewohnerin ihres Hauses bei sich hatten, verließ sie Magdeburg immer wieder für ein paar Tage und lebte eine Zeit lang ganz allein in einer Holzfällerhütte vor den Toren von Dresden.
    Dort war sie auch in der Nacht des Bombenangriffs auf Dresden und sah aus der Ferne, wie ein Großteil der Stadt in Flammen aufging.
    Danach kehrte sie nach Magdeburg zurück und wohnte wieder bei den Michels, bis zum 8. April 1945, als zuerst die Amerikaner, dann die Russen Magdeburg besetzten.
    Als die russischen Soldaten die Auffahrt zum Haus der Michels hinaufstürmten, stellte sich meine Mutter mit einer weißen Flagge auf die Schwelle und erklärte dem Kommandanten unmissverständlich, dass die Besitzer dieses Hauses keine Nazis waren, sondern ihr Leben für sie riskiert hatten.
    So kam es, dass die Russen die Familie Michels ungeschoren davonkommen ließen, was vermutlich nicht der Fall gewesen wäre, wenn sich meine Mutter nicht für sie eingesetzt hätte. Denn die Russen nahmen grausame Rache an der besiegten deutschen Zivilbevölkerung für das, was die Deutschen angerichtet hatten. Allerdings richteten sie im Haus der Michels ihr Hauptquartier ein.
    Ich brauchte Jahre, bis ich die Geschichte meiner Mutter rekonstruiert hatte. Dass es so lange dauerte, lag zum Teil daran, dass sie so traumatisiert war von ihren Erlebnissen in jenen schlimmen Jahren und dem, was sie alles verloren hatte.
    Es lag teilweise aber auch daran, dass sie versuchte, mir die Wahrheit so lange wie möglich zu ersparen.
    Zu dieser Wahrheit gehörte auch, dass Ruth, die liebe Freundin meiner Kindertage in Berlin, die kleine, zarte Ruth, die mir zum zehnten Geburtstag den pinkfarbenen Schal gehäkelt hatte, am 2. April 1942 aus Berlin, wohin sie zwischenzeitlich zurückgekehrt war, deportiert und in Trawniki ermordet worden war.
    Sie war nur vierzehneinhalb Jahre alt geworden.

18
    FRIEDEN
    Ab dem 31. Mai 1945
    Als ich an dem glückseligen Tag im Mai erfuhr, dass meine Mutter noch lebte, las ich den Brief von Sergeant Burkorn immer und immer wieder.
    Dann setzte ich mich hin und schrieb einen Antwortbrief. Hier, sieh mal, das sind Auszüge daraus:
    »Bis zum August 1944 lebte ich bei einer wohlhabenden Familie in Cambridge. Sie hatten ein großes Haus mit Garten und die jüngste Tochter war in meinem Alter.
    Dort traf ich viele interessante Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, da diese Familie oft Gäste hatte. Und mit der Zeit verlor ich meine Schüchternheit.
    Trotzdem würde ich sagen, dass ich mich kaum verändert habe, und obwohl ich an Weihnachten heiraten werde, bin ich immer noch »das kleine Mädchen«, dem Mama vor sechs Jahren Lebwohl gesagt hat. Sie braucht sich keine Sorgen zu machen, dass ich eine Andere geworden bin – ich bin nur größer geworden.
    Im Juli habe ich die Schule beendet, und ich glaube, Mama wird sich freuen zu hören, dass ich ein sehr gutes Abschlusszeugnis bekam. Besonders gut war ich in Englisch, Geschichte und Französisch.
    Ich habe eine wunderbare Schule besucht, die erst zu Beginn des Kriegs in Cambridge eröffnet worden war. Ich hatte viele Freundinnen und genoss das Leben als Schülerin sehr.
    Seit August lebe ich in London in einem Mädchenwohnheim. Wir sind zu elft – alle aus Deutschland oder Österreich, und es ist sehr schön.
    Zurzeit mache ich einen sechsmonatigen Kurs am
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