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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
Autoren: Dirk Bernemann
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man ihnen mit Absicht einen schlechten Witz erzählt so wie: "Wo wohnen denn Katzen am liebsten? - Im Miezhaus" oder "Kommt ein Zyklop zum Augearzt." Das ist nicht witzig und gelacht wird immer darüber. Ich hasse das. Genauso hasse, nein verachte ich aus tiefster Seele, die Leute, die sich selbst charakterisieren (Ich bin ja eher der ausgeflippte Typ), Intimitäten gleich beim ersten Treffen preisgeben (Ich liebe es, nackt im Schnee zu tanzen) oder immer sofort wissen, wie der Gesprächspartner gestrickt ist und dann so unsensible Weisheiten kundtun wie: "Liebe das Leben und es wird dich zurücklieben". So eine Gefühlskotze. Kacke außerdem, wenn man danach noch gefragt wird, ob man Rilke oder Hesse liest und wie man das findet, und ob man schon mal Yoga probiert hat, so zur Entspannung. Ich hasse Entspannung!"
    Ich atmete einige Male heftig ein und aus, eher so ein Rinderschnauben, das man aus Warteschlangen aus dem Schlachthof kennt. Der Rastamann wollte wieder dazwischenfunken, irgendwas sagen, sich in den Kreislauf meiner Gedanken integrieren. Ich nahm seine Hand und sah ihm tief in seine versoffenen Augen: "Alter, und weißt du, was ich noch hasse? Diese Leute, die Bestätigung über hündische oder Reh ähnliche Blicke einfordern. Das geht ja gar nicht. Mann, Alter, du musst mich wirklich für einen hasserfüllten Menschen halten, so wie du jetzt guckst." Der Typ sah mich nur an, ich sah, wie sein Gehirn Aktivität vortäuschte, und er trank sein schwules Becks Gold etwas leerer und ich nutzte die Gelegenheit, ihn weiterhin intellektuell zu stimulieren. Ob er es mochte, war mir egal, sein Blick war irgendwie unangenehm, doch ich hatte eine Mission: Ich wollte mich relativieren.
    "Ich liebe Menschen, Alter, ja ich liebe auch Menschen. Menschen, die nicht zwischen gut und böse unterscheiden können, mit denen bin ich in Liebe, wenn sie denn zwischen Stumpfheit und Raffinesse unterscheiden können. Außerdem liebe ich Menschen, die am Leben wie an einer Krankheit leiden, die diese Krankheit sind, sie zu jeder Sekunde ihres Lebens darstellen, weil sie eben diese Krankheit sind, und sich aber auch für Diagnosen interessieren, aber nur um da einfach weiterzumachen, wo man aufgehört hat." Sein Blick heuchelte Interesse, wahrscheinlich hielt er mich für einen Irren und hielt sich für potentiell bedroht von meinem Irrsinn.
    Da, in dieser Schräglage des elementaren Bedrohungsirrsinns, baute ich den Verbalbogen an: "Des Weiteren liebe ich Menschen, deren Zuneigung eine potentielle Bedrohung darstellt und sich so schnell in Hass verwandelt, wie man ‚postmodern' sagen kann. Ich liebe Menschen meistens noch mehr, nachdem sie begonnen haben, mich zu hassen." Der Typ schien überfordert, seine Stirn legte sich abwechselnd in Falten, um sich dann schwungartig wieder zu glätten, so geht das Vortäuschen studentischen Denkens. Er schwieg aber weiter, umklammerte seine Bierflasche und versuchte mit seinem Blick den meinen einzufangen.
    Ich machte weiter, die Sprache quoll mir aus dem Gesicht: "Weißt du, ich liebe Menschen, die selbstverständliche Dinge tun, die sich zum Beispiel einen Kaffee machen in dem Glauben, es würde nur diesen einen Kaffee geben, um dann den Kaffee hinzustellen, als würde im ganzen Universum nur dieser eine Tisch existieren, und um ihn dann zu trinken und die Besonderheit des Augenblicks zu spüren. Außerdem liebe ich Menschen, die bei bohrenden Blicken mit Banalitäten antworten oder auf fragende Blicke ihr Unbehagen äußern. Ich liebe diese detaillierten Ästheten. Letztens hat eine gute Freundin von mir gesagt, sie müsse beim Orgasmus immer an gotische Kathedralen denken. Mein Herz hat selten so laut geschlagen. Ich mag Menschen, die sadistisch veranlagt sind, dabei aber überdurchschnittliche Bildung vorweisen können. Diese kommen meist aus nichtbürgerlichem Hause und verletzen die letzten bestehenden moralischen Grundsätze, ohne dabei ihre Unschuld zu verlieren." Mein Monologzuhörer hatte mittlerweile sein Bier geleert und schaute mich so kindlich fragend an. Ich sah, wie er nachdachte, wie er vielleicht darüber nachdachte, einfach zu gehen, den Ort zu wechseln, das Land zu verlassen, auf den Mond zu reisen, bloß um nicht mehr mein Gelaber ertragen zu müssen. Ich machte weiter, nahm nochmal seine linke Hand in meine rechte, hielt in also nunmehr an beiden Händen fest - eine Stimmung wie in pathosbeladenen Liebesfilmen machte sich kurz bemerkbar, um dann aber wieder beim Blick
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