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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
Autoren: Dirk Bernemann
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in sein Gesicht zu verschwinden - und sagte: "Ich liebe Menschen mit Mitgefühl, solche, die entschlossenen Geistes sind. Menschen, deren Vitalität auf einen Genpool zurückgreift, deren Individuen sich aus bloßer Faulheit oder instinktiver Ignoranz allen überflüssigen gesellschaftlichen Forderungen und Förderungen entzogen haben. Hirne solcher Menschen setzen nie Fett an." Die Küche war leer geworden, ich wusste nicht, wie spät es war, fühlte mich irgendwo zwischen Sentimentalität und Erbrochensein beheimatet und beendete meine Ausführungen mit folgenden Worten: "Ich liebe Menschen, Menschen, die alles sind, was ich nicht bin, minus dem, was andere sind, plus dem, was ich mal war, geteilt durch das, was wir alle sind. Kennst du so jemanden?" Der Rastamann schüttelte den Kopf, und endlich kam er auch mal zu Wort und lallte: "Also, ich hab jetzt grad gar nicht zugehört, was du so gesagt hast, aber der Klang deiner Stimme hat was Hypnotisches. Ich wollt nur fragen, ob du 'ne Zigarette für mich hast." Sein Blick war irgendwie überhaupt nicht mehr zielgerichtet. Nach Beendigung seines Satzes fiel er von der Küchenbank und als er auf dem Rücken liegend auf dem Boden angekommen war, erbrach er sich fontänenartig, nur um nach einer Minute kotzen und würgen, sanft in seinem Kotzehaufen einzuschlummern. Ich bückte mich zu ihm hinunter, legte ihm eine Zigarette vors Gesicht und wechselte ins Wohnzimmer. Vielleicht hat er ja immer noch Lust eine zu rauchen, wenn er aufwacht ...
Night by train and celebrating youth and friendship für und mit Manu
    Alle meckern und verbalkacken über die Bahn, die nicht kommt oder die zu spät kommt oder zu teuer, zu ungemütlich, zu dreckig, zu unökologisch, zu privat, zu vollgepisst und zu doof ist. Und er, mein Freund, ist Lokführer und hat den Mut, sich für all das zu schämen. Aber irgendwie ist ihm auch alles wunderbar egal, denn dieses Bahnfahren ist für ihn nur ein Hobby, sagt er immer. Ein Hobby wie für andere Menschen Steine sammeln oder Fußball, ein Hobby, das man macht, weil da mehr Spaß als Zwang regiert, ein Hobby, mit dem er mehr verdient als eine ausgebildete Friseurin oder ein Bestsellerautor wie ich.
    Und in dieser Nacht, wie in vielen anderen Nächten auch, zelebrierten wir unsere nicht mehr ganz so frische Jugend und unsere Freundschaft. Mit dem Zug durch die Scheiße, über Strecken, an denen keiner, der gucken kann, leben mag, und wir standen an Bahnhöfen und aßen proletarische Nahrungsersatzstoffe wie Pommes mit Ketchup oder ähnlich working class verdächtige Unleckereien.
    Er hat es wirklich drauf, in den total passenden Momenten das zu schenken, was notwendig ist. Mir ging es lange Zeit nicht gut, irgendwie sozial verstümmelt durch gegenwärtige Geschehnisse, und zum Trost lud er mich ein vorne in der Bahn, also in der Lok, durch eine Nacht zu ballern.
    Das haben wir schon öfter gemacht: Bahnfahren durch die Nacht bis in den Morgen, bis ein wenig Sonne kommt, auf die wir alle warten. Hoffnung lag immer in diesen Fahrten, dass danach alles anders als zuvor wird. Die Zeit vergeht wie im Zug.
    Romantik ist was Brachiales, etwas, was auch schon mal wehtut, und zwar da, wo man keinen Schmerz vermutet. Die Zärtlichkeit einer Schienenführung. Die hässlichsten Bahnstrecken Deutschlands, ich habe sie kennengelernt durch die Nacht, durch die Nacht mit dem Eisenarsch. Ja, man denkt immer, therapeutische Ansätze müssen so schwierig sein, also dass es kriegsähnlicher Zustände in einem selbst bedarf, um sich seelisch wieder in ein Gleichgewicht zu prügeln, aber weit gefehlt, eine Nacht Zugfahren mit dem Bahnmannfreund und das Bewusstseinskonto ist wieder ausgeglichen, denn ich habe Romantik und Freundschaft eingezahlt.
    Es war eine Nacht von Donnerstag auf Freitag, langsam wollte es leise Winter werden und die Hässlichkeit unserer Gegend ist noch tausend kaputte Blicke wert, aber wirklich nur tausend, danach muss ich wohl nach Berlin oder London ziehen, um neue Hässlichkeit zu entdecken. Die Hässlichkeit meiner Gegend aber bestimme ich teilweise selbst mit, denn ich entscheide, wohin mein Blick geht, wohin ich ihn lenke, und zu ungefähr siebzig Prozent müssen meine Augen meinem Gehirn pure Hässlichkeit vermitteln. Und das machen sie, die Augen, auch, weil sie keine andere Gelegenheit haben. Denn diese Hässlichkeit ist allgegenwärtig. Industriekultur und Bäuerlichkeit.
    Eine schizophrene Gegend eigentlich, die sich selbst an ihrer
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