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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen
Autoren: Noreen Ayres
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Der erste Schuß traf ihn in den Mund. Seine Zunge spaltete sich der Länge nach wie ein Hotdog auf dem Grill. So eine Wirkung hat nur eine 22er. Das wußten wir allerdings erst nach der Autopsie. Üblicherweise geht so ein Überfall so vor sich: »Geld her!« — »Nein.« — Peng !Und dann ist es vorbei. Aber hier war es etwas anders. Sie schossen Jerry Dwyer in den Mund und holten dann noch eine größere Waffe.
    Was hat Jerry getan oder gesagt, daß sie so grausam wurden? Der Junge war cool, er hätte drüber gelacht, wenn er gekonnt hätte. Er war von seinemVater darauf trainiert worden und hätte sich gedacht, >Gib’ ihnen das verdammte Geld, egal<. Dann hätte er seinen Vater angerufen. Der kennt sich aus mit dem Versicherungskram. Er hätte so getan als ob nichts gewesen wäre und die Geschichte als Witz erzählt. Aber Jerry Dwyer konnte nicht mehr so tun, als ob nichts gewesen wäre. Weder heute noch irgendwann anders.
    Man sagt, daß Polizisten auf zwei Arten die Dinge sehen, mit Polizistenaugen und mit ganz normal menschlichen Augen. So ging es mir hier. Ich bin Spezialistin für kriminaltechnische Untersuchungen im Bezirk Orange County, Kalifornien. Eigentlich arbeite ich im gerichtsmedizini- schen Labor in Santa Ana, eine Autostunde von LA. entfernt. Ich sammle, sichere, analysiere und verwalte Beweismaterial. Ein Polizist kann jemanden auf frischer Tat ertappen, es wird ihm trotzdem nicht gelingen, den Dreckskerl hinter schwedische Gardinen zu bringen, wenn das Beweismaterial nicht vernünftig gesammelt, analysiert und sichergestellt wurde. Wir helfen ihm dann und die Staatsanwälte sorgen für alles weitere.
    Ich mache diese Arbeit schon mehr als fünf Jahre, sieben wenn man die Zeit als Polizistin in Oakland dazu zählt. Meine Freunde nennen mich Smokey. Ich bin weiblichen Geschlechts, 1,63 Meter groß, aschblond und habe eine ganz gute Figur. Und vor diesem Vorfall war ich ziemlich abgebrüht. Ich konnte mit toten Babies zu tun haben und nicht weinen. Aber dieser Fall ging mir an die Nieren. Die Mengen von verspritztem Blut, die hoffnungslose Spur zum Hinterausgang des Ladens, die Jerry Dwyer zog, als er versuchte, seinen Mördern zu entkommen. Die fürchterlichen Schleifspuren, wie Experimente mit frischer Farbe.
    Vor dem Mord hielt ich oft auf dem Weg zur Arbeit an Dwyers Kwik Stop, um mir einen Kaffee und ein Doughnut mitzunehmen. Von dort aus fahre ich nur um die Ecke, und schon bin ich auf dem Freeway in Richtung Labor.
    Jerry war ein kräftiger Junge. Zwanzig Jahre alt. 100 Kilo schwer, 1,84 cm groß, blond und blauäugig. Er arbeitete jeden Morgen zwei Stunden im Laden seines Vaters, bevor er zum Saddleback College fuhr und bis mittags Computerkurse besuchte. Nachmittags arbeitete er dann weiter im Geschäft und abends besuchte er Mechanikerkurse. Wie kann man einen Jungen nicht mögen, der so viel arbeitet? Hier in Orange County ist es für Kinder leicht, ein gutes Leben zu führen; ein sehr gutes sogar, auch wenn sie es selbst nicht glauben. Jerry war da anders. Er wußte bei seinem ersten Augenaufschlag, daß dieser Wohlstand ein Zufall war. Während andere Leute sich auf die Lotteriegewinne oder die verschiedenen Versicherungspolicen ihrer Eltern verließen, sagte er, >Du mußt doch Pläne haben, Mann.< Er sagte, daß dieser Yuppie-Abschaum überall baute und kaufte und wieder pleite machte, aber eines Tages würde alles zusammenbrechen und dann würden sie sich dumm angucken, als ob sie alle gleichzeitig in die Hose gemacht hätten. Jetzt liegt Jerry ausgestreckt auf einer Stahlbahre im Kühlraum des Gerichtsmediziners, und meine Augen füllen sich viermal am Tag mit Tränen.
    Joe London Sanders war diesmal der Leiter des Untersuchungsteams, und wir hätten nicht in besseren Händen sein können. Teamleiter wechseln sich ab. Ich hatte Urlaub wegen einer dieser Operationen, über die man nicht gerne spricht, aber vorher hatte ich monatelang die meisten Untersuchungen geleitet.
    Mein Leben hatte schon angefangen sich zu verändern. Mit 32 Jahren sollte man noch nicht so ausgebrannt sein. Aber die Anzahl der Verbrechen erhöhte sich wohl stetig, wie es schien, und ich muß zugeben, die Arbeit schafft dich. Man geht in den Kampf, um gut zu kämpfen, um es ein wenig anders zu machen. Uber kurz oder lang zählt alles gleich viel, alle Morde sind gleich, jeder muß mal sterben. Dann kommt ein Jerry Dwyer und weckt dich auf.
     

Billy Katchaturian wartete darauf, daß das Blut trocknete. Um
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