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Ich bin schizophren und es geht mir allen gut

Titel: Ich bin schizophren und es geht mir allen gut
Autoren: Dirk Bernemann
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Kleidungsverweigerung und auch Gedankenverweigerung. Sie lädt mich zu Keksen ein und sucht ja immer noch einen Papa für Jayle, das ist ihre Tochter und die hat einen komischen Namen, aber ich mag ihr Kind ... Aber Papa soll es nicht zu mir sagen, weil ich nicht der Papa bin, weil der weg ist, nach Brasilien geflogen, als er von der Schwangerschaft erfuhr, und als Jayle auf die Welt kam, lag er full of cocktails und trank sich sein Schuldbewusstsein vom Leib. Ich kenne ihn, aber er ist einer dieser Menschen, dieser Seelenasylanten, die irgendwo stranden und sich überall verkehrt vorkommen, weil sie eben auch überall verkehrt sind. Jayles Mutter hasst diesen Mann, klar, er ist in Brasilien, sie hat die Jayle groß zu machen, macht sie ganz gut ... Heute geht nix, sag ich ihr, und sie versteht und ruft andere Menschen an, die mit ihr Kekse essen werden ...
    17 Uhr 47 ... bin wachgeblieben, habe noch in Popliteratur geblättert und mich über ein paar Sätze aufgeregt, zum Beispiel stand da irgendwo: "Du kannst doch Menschen, die dich lieben, nicht so einfach verlassen", oder "Ich wollte mein Problem mit der Dame von der Organisation besprechen." Das sind so Sätze, die ich nicht verstehe, auch nicht in Texten, in die sie hineingehören. Solche Sätze langweilen mich, ich begebe mich in eine Art aufrechte Haltung, also aufrecht im Sinne von Schimpanse, und dann stehe ich auf, gebückt, der Kopf weist eine Schwere auf, die ich liegend gar nicht bemerkt hatte, und dann laufe ich ein paar Schritte, und da ist diese Küche, meine Küche, die mich mit ihrem Liebreiz empfängt, und dort beginne ich mit den Vorbereitungen für ein entspanntes Abendessen allein, zu dem ich mir vornehme, es unterhosenbekleidet im Bett einzunehmen. Ich hacke Zwiebeln klein, brate sie in der Pfanne, komme mir vor wie ein Fernsehkoch mit Kotzreiz, bin der Alfred Bioleckmichdochamarsch der Realküche und neben den Zwiebeln wende ich bald Paprika, Tomaten und Nudeln in der Pfanne, und alles wird in ein Bad aus Ajvar getaucht und färbt sich entsprechend rot. Es riecht nach Sommerfrische und Egoliebe, meine Unterhose kneift im Schritt, ich kneife zurück.
    18 Uhr 15 Ich esse, liegend unter meiner Bettdecke, und ich habe keine Hose an, aber die Unterhose. Ist ja auch egal, wer braucht an solchen Tagen Kleidung, die Decke hält mich warm, alles wird gut, denke ich und so kommt es auch.
    Ich esse langsam und Aromen breiten sich in meinem Gesicht aus und feiern kleine Feste auf meiner Zunge, bearbeiten meinen Gaumen in spürbarer, zarter Gelassenheit, ein Mal so ein Mahl und man will niemals ein anderes Mahl, denn dieses Mal ist dieses Mahl perfekt. Ich esse das und furze einmal laut, nur um mein Gehör zu überprüfen, mein Geruchssinn wird gleich mit überprüft.
    18 Uhr 50 Lindenstraße, die beste Parallelgesellschaft in Deutschland.
    19 Uhr 05 Es ruft jemand zur besten Lindenstraßenzeit an und wird dafür angemeckert, tödlich verwünscht und verbal abgefuckt, so was weiß man doch ...
    20 Uhr 13 Dieser jemand ruft aus Sicherheitsgründen nochmal an, fragt nach meiner Befindlichkeit. Ich erkläre ihm meine Sachlage, dass ich keine Sachen anhabe und er, ja er beneidet mich darum. Er trägt den ganzen Tag schon eine unbequeme Hose über seiner Unterhose und dann fragt er, ob er mich jetzt noch sehen könne, aber ich lehne ab, erkläre noch kurz, dass dieses Unterhosengehenlassen-Ding ein vollkommenes Egoding ist, an dem man keine anderen Menschen beteiligen sollte. Er versteht das, er gehört zu den Guten, zu denen mit Verständnis für Liegengebliebene und auch für die, die mit voller Absicht liegen bleiben, oder für die Leute, die an Rolltreppenenden einfach mal so stehen bleiben, weil niemand auf sie wartet, weder unten noch zu Hause, noch sonst wo. Ich verabrede mich mit diesem Menschen für nächstes Jahr, Ziel ist es, eine Bierbar leer zu trinken, und wir halten das für ein gutes Ziel und haben doch gern diesen geblähten Bauch, der nach Genuss aussieht und auch so riecht. Ich furze, ich lebe, die Evolution hat mich nicht vergessen.
    20 Uhr 50 Ich liege schon wieder im Bett ... Mir fehlt nichts ... Ich bin ein selbstzufriedener Unterhosenmann, den nichts stört, alles gut. Das Buch ist weiter unaufgeregt, ich schmeiße es weg, Unaufgeregtheit hab ich schon genug. Ich fange ein neues Buch an, eines in meiner Griffweite, ich strecke einfach die Arme aus und es sieht nach Subkultur aus und es riecht nach Rauch, aber so riecht ja alles heute,
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