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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig!
Autoren: Jonathan Kellerman
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    Ich saß als Zeuge im Gerichtssaal und mußte miterleben, wie Richard Moody von der Richterin die unangenehme Nachricht erfuhr.
    Moody war zu der Gelegenheit in einem schokoladenfarbenen Polyesteranzug erschienen, mit einem kanariengelben Hemd, einer Schnürsenkelkrawatte und Stiefeln aus Alligatorleder. Er schnitt eine Grimasse, biß sich auf die Lippen und versuchte, mit der Richterin Augenkontakt herzustellen, aber sie starrte ihn so unverwandt an, daß er zuletzt den Blick senkte und seine Hände betrachtete. Der Justizbeamte an der Rückseite des Saals ließ Richard Moody nicht aus den Augen. Aufgrund meiner Warnung hatte er sorgfältig darauf geachtet, die Moodys den ganzen Nachmittag über nicht zusammenkommen zu lassen, und war dabei so weit gegangen, Richard ausführlich zu filzen, ob er nicht etwa bewaffnet war.
    Die Richterin hieß Diane Severe und wirkte für ihre fünfzig Jahre recht jugendlich, mit aschblondem Haar und einem ausgeprägten, gütigen Gesicht; ihre Stimme war leise und angenehm, der Tonfall streng beruflich. Ich hatte sie bis dahin noch nie bei einer ihrer Verhandlungen erlebt, kannte aber ihren Ruf. Sie war Sozialarbeiterin gewesen, bevor sie Jura studierte, und nach einer Dekade beim Jugendgericht und sechs Jahren Tätigkeit als Familienrichterin war sie eine der wenigen unter ihren Kollegen, die mit Kindern zurechtkamen und auf sie einzugehen wußten.
    »Mr. Moody«, sagte sie, »ich möchte, daß Sie dem, was ich jetzt zu sagen habe, sehr genau zuhören.«
    Moody nahm eine etwas aggressive Haltung an, zog die Schultern dabei nach vorn und die Lider seiner Augen zu engen Schlitzen zusammen wie ein Schläger in einer Bar, aber sein Anwalt gab ihm einen Rippenstoß, worauf er sich wieder lockerte und zu einem Lächeln zwang.
    »Ich habe die Aussagen von Doktor Daschoff und Doktor Delaware gehört, und beide haben sich vor diesem Gericht als hervorragende Experten erwiesen. Ich habe auch in meiner Kanzlei mit Ihren Kindern gesprochen. Ich habe Ihr Verhalten am heutigen Nachmittag beobachtet und gehört, was Sie gegen Mrs. Moody vorzubringen hatten. Ich weiß, daß Sie die Kinder angestiftet haben, von ihrer Mutter fortzulaufen, damit Sie in der Lage seien, sie zu ›retten‹.«
    Sie legte eine Pause ein und beugte sich vor.
    »Sie haben ganz offensichtlich mit schweren emotionellen Problemen zu kämpfen, Mr. Moody.«
    Das spöttische Grinsen auf Moodys Gesicht verschwand so schnell, wie es gekommen war, doch die Richterin hatte es keineswegs übersehen.
    »Ich bedauere, daß Sie das für komisch halten, Mr. Moody, weil es in Wirklichkeit leider tragisch ist.«
    »Euer Ehren«, begann Moodys Anwalt mit einer seiner Einlassungen. Sie klopfte mit ihrem goldenen Füllfederhalter auf den Tisch und schnitt ihm das Wort ab. »Nicht jetzt, Mr. Durkin. Ich habe mir heute schon genug Wortklaubereien anhören müssen. Das ist jetzt meine Zusammenfassung, und ich möchte, daß Ihr Mandant mir seine volle Aufmerksamkeit schenkt.«
    Danach wandte sie sich wieder an Moody.
    »Ihre Probleme mögen heilbar sein. Ich hoffe aufrichtig, daß sie es sind. Und ich zweifle nicht daran, daß dazu eine ausführliche Psychotherapie notwendig ist. Möglicherweise auch eine Behandlung mit Medikamenten. Um Ihrer selbst und Ihrer Kinder willen hoffe ich, daß Sie die in Ihrem Fall nötige Behandlung erhalten und daß sie zum Erfolg führt. Aber zugleich ordne ich an, daß Sie keinerlei weiteren Kontakt zu Ihren Kindern aufrechterhalten dürfen, bis Sie den psychiatrischen Beweis erbracht haben, daß Sie weder für sich selbst noch für andere eine Gefahr darstellen - das heißt auch, daß die körperlichen Bedrohungen und das Gerede über Selbstmordabsichten ein Ende haben und Sie wieder in der Lage sind, Mrs. Moody bei der Erziehung der Kinder beizustehen. Wenn dieser Punkt erreicht ist - und Sie können sich denken, Mr. Moody, daß ich mich dabei nicht allein auf Ihre Versicherung verlassen kann -, wird sich das Gericht an Doktor Delaware wenden, damit dieser zunächst einen begrenzten und kontrollierten Besuchsplan aufstellen kann.«
    Moody brauchte ein paar Sekunden, um das Gehörte zu verdauen, dann plötzlich machte er eine Bewegung in Richtung auf die Bank. Der Justizbeamte war schon aufgesprungen und in einer Sekunde an seiner Seite. Moody sah ihn, zeigte ein schiefes Grinsen und schlaffte ab. Tränen liefen ihm über die Wangen. Durkin zog ein Taschentuch heraus, gab es ihm und erhob dann Protest gegen
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