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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
Autoren: Herta Müller
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ich in die Apotheke und kaufte das Glausauge. Wenn ich nicht mehr bestellt werde, soll Paul mir einen kleinen Ring drankleben, dann trag ich es als Schmuck am Hals, dachte ich damals.
    Wenn man im Treppenhaus den Lift mit Albus Laufburschen hinunterfahren hört, klingt seine Stimme leise mir im Kopf: Dienstag Punkt zehn, Samstag Punkt zehn, Donnerstag Punkt zehn. Wie oft habe ich nach dem Schließen der Tür zu Paul gesagt:
    Ich gehe nicht mehr.
    Paul hat mich in den Arm genommen:
    Wenn du nicht gehst, dann kommen sie dich holen, dann haben sie dich immer.
    Ich hab genickt.
    Jetzt legt Paul sein Handtuch neben das Motorrad auf den Boden und setzt sich drauf und schraubt. Und ich steh hinter einem Strauch und möcht nicht weggehen, klapp, klapp auf dem Asphalt in den verrutschten Turmblock, den jeder kennt. Außer Frau Micu, die höchstens von der Wohnungstür zehn Schritte bis zum Lift und zehn zum Eingang geht, und keinen weiter, weil sie den Weg vergißt. Sie hat gesagt:
    Die Welt ist groß, wie soll ich außen riechen, wo innen unsere Wohnung ist.
    Zum Lift hat sie gesagt:
    In diesen Wagen steigst du ein, der fährt mit einem Strick, nicht mit Benzin. Hast du eine Fahrkarte, heute ist der erste Tag im Monat, heut kommt bestimmt der Kontrolleur. Da oben auf dem Dach verhungert man.
    Sie gab mir eine Aprikose, ich stieg in den Lift. Durch das Fruchtfleisch, das von ihrer Hand gewärmt war, klopfte der Kern. Oben warf ich die Aprikose weg, zum Fenster raus, soweit sie flog. Durch ihre Aprikose ließ ich mich nicht fangen, jetzt aber wär ich gerne wie Frau Micu, die das Unerhörte mit weicher Stimme plappert. Hat sie zum Kommen nicht gesagt:
    Und dann ist wieder Emil gekommen, zweimal ...
    Als ich in der Nacht zweimal mit dem Bettzeug kam, habe ich verstanden, daß mich einholt, was sie mir erzählt.
    Wenn ich jetzt doch in den Turmblock gehe, zieh ich die Bluse, die noch wartet, an und setz mich in die Küche. Wenn jemand aussteigt, poltert die Lifttür auf dem Stock darunter oder darüber wie Steine. Und hier auf dem Stock wie Eisen. Wenn ich Eisen höre, geh ich ins Treppenhaus. Heute wird Albu kommen. Als ich zum allerersten Mal bestellt war, zeigt er mir seinen Ausweis. Ich vergaffte mich an seinem Foto, statt zu lesen, wie einer, der beim Handkuß Finger quetscht, von seiner Mutter, seiner Frau gerufen wird. Zwei oder drei Vornamen müssen es gewesen sein, zu spät, der Ausweis war schon eingesteckt. Wenn Albu meint, daß ich verschwinden sollte, werd ich ihm die Wahrheit sagen:
    Mein Opa hat das Pferd ans Haus gemalt, ich warte vor der Tür.
    Und wenn Paul aus dem Lift steigt, sag ich es auch, dann muß er nicht gleich lügen bis ich frage:
    Wo warst du.
    Wie so oft wird er sagen:
    In meinem Hemd und bei dir.
    Die rote Java glänzt frisch lackiert. Aus Langeweile, aus Versehen schaut der Alte zu dem Strauch herüber und bückt sich zu Pauls Ohr. Jetzt steht Paul auf und sieht mich. Warum knöpft er sein Hemd zu.
    Ha, ha, nicht irr werden.
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