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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
Autoren: Herta Müller
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wegfahren und Wasser suchen, und bis sie einen dann finden, wird man womöglich gar nicht mehr erkannt. Flußleichen sind grausig. Wer müd genug ist, legt sich lieber fürs letzte Mal frische Wäsche auf den Tisch und stirbt schön zu Hause in der Badewanne.
    Wenn man die Schatten der beiden mitzählt, tragen sie zu viert. Manchmal bräuchten die Leute nur eine Melone und nehmen so viele, weil sie so billig sind, lassen sie verderben und meinen auch noch, sie hätten Geld gespart. Ich gehe dicht hinter dem Netz, ich trete laut auf, aber Autos schütteln ihren Lärm hoch in die Sonne. Warum sie das Netz so auseinanderziehen, es wird ja doch nicht leichter.
    Pardon.
    Nein, sie hören es nicht, das Wort ist zu kurz.
    Zwischen den Häusern klettern Spinnrosen, in den Gemüsebeeten blüht der hohe Dill ohne Ruhe im Wind, und die Kaiserkronen träge, gefaßt auf jede Mittagshitze, der Staub schläfert sie ein. Wäscheleinen zwischen die Obstbäume gespannt, viele Pfirsich- und Quittenbäume. Hauskleider und Schürzen, an den dunklen Stellen noch naß, fangen den Staub, bevor sie trocken sind. Hier war ich noch nie gewesen, nicht einmal ziellos. Lillis blauer Igelfaltenrock gehört hierher, wo die Gärten zu eng sind für große Bäume. Soll er sich ärgern, wenn er will, jetzt zieh ich den Melonenmann am Ärmel.
    Entschuldigung, ich muß vorbei.
    Er dreht den Kopf und geht noch zwei Schritte im Trott und schaut noch einmal her. Dann läßt er seinen Griff los.
    Was ist denn, schreit sie, kannst du nichts sagen, wenn du losläßt.
    Sie zieht den Schuh unter den Melonen weg, dann den Fuß aus dem Schuh, dann ein Stückchen verrutschtes Pflaster von ihrem kleinen Zeh:
    Na bitte, die Blase ist offen.
    He, sagt der Mann, da schau her, die kennen wir doch. Sein braun gefärbtes Haar glänzt an der Kopfhaut silbrig, wie damals, als das Licht stach und als Martin nach der vertanzten Nacht nicht mehr zur Paraputch gehörte. Und ihr Gesicht ist so schief wie damals, als Martin sie gequält hatte im Bad.
    Ach, sagt Anastasija, deine Haare sind kurz.
    Was macht ihr mit den fünf Melonen.
    Du hast sie schon gezählt, lacht er, wir feiern, du weißt schon wo.
    Und wie gehts, fragt sie.
    Gut, sag ich.
    Uns auch, sagt er, ja vielleicht sehen wir uns noch.
    Vielleicht, sag ich.
    Ein Lastauto poltert, Anastasija sagt:
    Wir müssen gehn.
    Da hat mir Martin dann doch noch einen Handkuß zum Abschied gegeben, und ich habe auf die Straße geschaut, weil vor der Stirn eines Schofförs zwei Babyschuhe an den Schnüren flogen. Und als das Auto weg war, stand auf der anderen Straßenseite eine rote Java, in der offenen Garage ein alter Mann in kurzen Hosen. Und wer hinten aus dem Garten kam, an der Wäscheleine den Kopf einzog und in die Garage ging, das war Paul. Auf Anastasijas Uhr war es fünf nach zehn.
    Paul und der Alte lachen, ich such die Marmoradern an den dünnen Beinen und sehe die Antenne auf dem Dach. Sie ist von Paul. Er nimmt einen Schraubenschlüssel, er hat nicht gesucht, nur ins Regal gegriffen. Wenn er abends in der Stadt auf Sauftour war, hab ich ihm geglaubt. Wie nicht, sein Suff war echt, was sollte daran täuschen. Ich habe nie gefragt, mit wem er trinkt und wer bezahlt. Zu Haus trinkt Paul ja auch allein. Nach dem Unfall hat er selbst gesagt:
    Trinker kennen sich momentan von einem Tisch zum andern durch Blicke, die Gläser reden miteinander. Mit Saufbekanntschaften soll man mich in Ruhe lassen. Ich trink meinen Schnaps mit anderen, doch am Tisch sitzen will ich allein.
    Aber nachher hat Paul das Bettzeug aus dem Fenster in die Nacht hinaus geschmissen, zuerst unsere Kissen. Ich sah sie unten weiß und klein wie zwei Taschentücher liegen. Barfuß fuhr ich mit dem Lift hinunter und brachte sie hoch. Und als ich mit den Kissen oben war, lagen die Decken unten. Und als ich die im Lift nach oben brachte, mußte ich weinen, weil sie so groß waren, überwältigt gesehen von der Nachtlaune eines Narren. Mit den Kissen hab ich noch gelacht. Bei Herr Micu war das Schlafzimmerfenster noch matt beleuchtet von der Nachttischlampe. Es war spät, aber immer noch Mittwoch, der Tag des Lottounglücks. Wer weiß, welche Art des Trostes Herr Micu um diese Zeit noch ausprobierte, um seine Frau an den nächsten Tag zu gewöhnen, den Beischlaf vielleicht, die körperliche Liebe.
    Von jungen Männern wird man müde, sagte Lilli, aber die älteren können das Fleisch der Frauen im Beischlaf leicht und glatt machen.
    Auch Bettzeug aus dem
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