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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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Schauderns nicht erwehren. In stürmischen Nächten gar war es unheimlich, wenn der Wind durch den Wald von schwarzen Kreuzen sauste – da klang es wie Weinen und Wehklagen. Aber allmählich hatte sich Stella daran gewöhnt, dem Ort der Trauer so nahe zu sein. Und eigentlich war er gar nicht so traurig, sondern recht anheimelnd, und die Lebenden waren mit den Toten in stetem Umgang geblieben, denn da der Friedhof mitten im Dorfe lag und nur von einer niederen Mauer eingefaßt war, sprangen die Leute darüber und durchquerten den Gottesgarten. Die Kinder spielten im Grase; Kätzchen lagen im Sonnenschein, schnurrten und spannen und blinzelten schläfrig nach den Vögeln, die sich im blühenden Gezweig wiegten. Üppig schössen Gräser und Kräuter hoch empor, Thymian, Quendel und wilder Anis strömten Wohlgerüche aus, die das ganze Dorf erfüllten. Am Abend aber ging ein besonderer Frieden von dem stillen Garten aus und breitete sich über das ganze schlafende Dorf, in der Dunkelheit verschwammen die Kreuze, nichts regte sich, nur das Meer rollte majestätisch seine Wogen, und eine leichte Brise wehte einen Salzhauch herüber.
    Eines Abends, als Stella an Hektors Arm vom Spaziergang zurückkam, wünschte sie den Weg durch den Friedhof zu nehmen. Aber Herr Chabre wollte für seine Person davon nichts wissen, er zog es vor, auf der Straße weiterzugehen. Stella und Hektor traten in den Friedhof ein; sie mußten einzeln gehen, weil der Pfad im hohen Grase nur schmal und fast verwachsen war; die Kräuter sendeten betäubenden Duft aus, und langsam schritten sie dahin. Als sie in den tiefen Schatten der Kirche getreten waren, legte Hektor plötzlich seine Hand an Stellas Taille. Sie erschrak und stieß einen Schrei aus.
    »Ist es nicht ein Unsinn«, sagte sie, »ich vermeinte, ein Gespenst hätte mich berührt.«
    Er lachte und behauptete, es müsse wohl ein überhängender Zweig gewesen sein.
    Sie schwiegen beide, betrachteten die Kreuze, die vom Dämmerlicht umwoben waren, und fühlten sich von dem tiefen Frieden ringsumher innerlichst ergriffen; sie waren bewegt und gerührt, als sie den Todesgarten wieder verließen.
    »Du hast dich wohl gefürchtet«, sagte Herr Chabre zu seiner Frau, »ich habe dich schreien hören, es geschieht dir schon recht.«
    Eine Unterhaltung gewährte es Stella, bei hoher See der Rückkehr der Sardellenfischer zuzusehen. Sobald sich ein Segel am Horizonte zeigte, machte Hektor seine neuen Freunde darauf aufmerksam, und sie gingen zum Hafen hinab; aber nach dem sechsten Schiffe erklärte Herr Chabre, er habe genug, es wäre immer dasselbe, indes Stella nicht müde wurde und an dem Schauspiel ein steigendes Vergnügen fand.
    Sobald ein Schiff in Sicht war, eilten sie zum Hafen hinab, zuweilen mußten sie laufen, um rechtzeitig anzulangen, sie sprang über große Steine und hob mit einer Hand ihr Kleid empor, um nicht zu stürzen. Atemlos langte sie dann an und blieb, die Hand aufs hochklopfende Herz gedrückt, einen Augenblick regungslos stehen. Hektor fand sie entzückend mit ihren vom Laufen geröteten Wangen, den glänzenden Augen und den windzerzausten Löckchen, er starrte sie unverwandt an, während sie das lebhafteste Interesse für die Ausbeute der Fischer an den Tag legte. Sobald das Boot angelegt hatte, hoben die Fischer ihre gefüllten Körbe heraus, und die Sardellen glänzten im Widerscheine der Sonne schneeig wie Silber oder bläulich und rosenrot wie Opale. Stella bewunderte sie, und Hektor berichtete jedesmal, daß jeder Korb tausend Stück enthielte und der Preis täglich schwanke, je nach der mehr oder minder reichen Ausbeute, denn die Fischer teilten den Gewinn unter sich, der Besitzer des Bootes aber bekam den dritten Teil des Erlöses. Auch dem Einsalzen, das sofort in durchlochten Holzkästen vor sich ging, sahen sie aufmerksam zu. Nach und nach erlahmte dann doch ihr Interesse an den Sardellen, sie liefen zwar noch zu den ankommenden Booten, kümmerten sich aber kaum um die Fische, sondern blickten träumerisch ins weite Meer hinaus und kehrten langsam und still zurück.
    »Nun, war der Fischfang reich?« fragte Herr Chabre jedesmal, und jedesmal antworteten sie: »Ja, ausnehmend reich.«
    Eines Sonntags abends gab es ein interessantes Schauspiel: einen ländlichen Ball im Freien. Die jungen Bauernburschen und -mädchen hielten sich an den Händen, drehten sich im Kreise und sangen dazu eine eintönige Weise. Das dauerte stundenlang. Stella saß am Strande, zu ihren
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