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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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anzuschmiegen, in ihr zitterte noch die Angst und Aufregung nach, die sie empfunden hatte, als sie den kühnen Jüngling hoch an der Felsenwand hatte hängen sehen.
    Sie schritten langsam und schweigend über den Kies des Strandes, der unter ihren Tritten knirschte.
    Hektor zeigte ihr zwei Höhlen, das Narrenloch und die Katzengrotte genannt. Sie erschauerte, als sie eintrat, denn es wehte ihnen kühl entgegen. Und schweigend setzten sie ihren Weg, der über weichen, schönen Sand führte, fort, nur von Zeit zu Zeit blickten sie sich an und lächelten einander zu.
    Das Meer stieg, die Wellen schlugen klatschend an, sie merkten es nicht, Herr Chabre schrie ihnen aus Leibeskräften von oben herab allerlei zu, sie hörten ihn nicht.
    »Es ist Wahnsinn«, rief er und schwang Schirm und Korb, um sich bemerkbar zu machen, »Stella... Herr Hektor ...! So hört doch!... Die Flut ist da!... Ihr habt ja die Füße schon im Wasser!«
    Sie hörten nicht, sie fühlten auch nicht die Frische der kleinen Wellen, die tatsächlich schon über ihre Füße spülten.
    »Stella!... Herr Hektor!...«
    »Was gibt's?« fragte endlich die junge Frau.
    »Ah, Sie fürchten für uns, Herr Chabre?« rief Hektor, »keine Sorge, es geschieht nichts, auch sind wir mit unsrer Wanderung gleich zu Ende, nur die ›Damengrotte‹ müssen wir noch besichtigen.«
    »Aber das ist ja Tollheit«, rief Herr Chabre mit verzweiflungsvoller Gebärde, »ihr werdet ertrinken, es ist euer sicherer Tod!«
    Doch sie hörten ihn nicht länger an; um der zunehmenden Flut auszuweichen, schritten sie rasch knapp an den Felsen entlang und erreichten endlich die »Damengrotte«. Es war eine tiefe Höhle in einem Granitblock, der vorgebirgeartig hervorsprang. Hoch wie eine Kuppel wölbte sie sich, und die Wände waren vom Anprall der Wogen glatt und glänzend wie Achat. Der dunkle Granit wies zartes, rosenrotes und bläuliches Geäder auf, das sich in seltsamen Linien wand, als wären es künstliche Arabesken, mit denen Künstler einer längstvergangenen Zeit diesen Badesaal für Meeresköniginnen geschmückt hatten. Auch der Boden mit dem feuchtglänzenden Kies glich einem aus Edelsteinen gebildeten Mosaik, und die Sandbank im Hintergrunde, die weich, trocken und goldschimmernd war, konnte als Königsthron gelten.
    Stella hatte sich auf die Sandbank niedergelassen, hielt bewundernd Umschau in der Grotte und flüsterte dann: »Ach, hier möchte ich leben.«
    Hektor, der am Eingang stehengeblieben war, beobachtete das Meer, plötzlich tat er sehr erschrocken und rief: »Ach Gott, nun sind wir gefangen! Die Flut hat uns den Weg abgeschnitten – wir müssen zwei Stunden warten...!«
    Er trat hinaus, hob den Kopf, um mit den Blicken Herrn Chabre zu suchen, der gerade über der Grotte auf der Küste stand, und kündete ihm an, daß sie eingeschlossen seien.
    »Nun, habe ich es nicht vorausgesagt?« rief Herr Chabre triumphierend, »aber ihr wolltet mir nicht glauben, nun habt ihr die Strafe... Es ist doch keine Gefahr dabei?«
    »Nein, nicht die geringste«, entgegnete Hektor, »das Meer dringt höchstens fünf bis sechs Meter in die Grotte – nur dürfen Sie sich nicht beunruhigen –, es wird an die zwei Stunden dauern, bis wir wieder heraus können.«
    Jetzt aber begann Herr Chabre ärgerlich zu werden, er war hungrig und wollte essen. Ein dummer Ausflug, über den man das Diner versäumen muß! Er brummte noch allerlei, dann setzte er sich auf den grasigen Boden, legte den Schirm links und stellte den Korb mit den Arapeden zu seiner Rechten.
    »Nun, wenn es durchaus sein muß, will ich warten«, rief er, »gehen Sie zu meiner Frau hinein, und sehen Sie zu, daß sie sich nicht erkältet.«
    Hektor kehrte in die Grotte zurück und setzte sich neben Stella. Nach einer Weile wagte er, ihre Hand zu ergreifen, und sie zog sie nicht zurück. Sie blickte ins Weite, in die zunehmende Dämmerung hinaus. Der Himmel verblaßte immer mehr und mehr, nur am Horizont färbte er sich blaßviolett, das Meer wurde immer dunkler und dunkler, es dehnte sich ins Endlose, und nicht ein einziges Segel war mehr zu sehen.
    Langsam drang das Wasser in die Grotte und rollte leise rauschend über den schimmernden Kies. Wie schmeichelnde Stimmen klang es, wollüstige Schauer brachte es und sinnbetörenden Duft.
    »Stella, ich liebe dich«, flüsterte Hektor und bedeckte ihre Hände mit Küssen.
    Sie antwortete nicht, von den rauschenden, steigenden Wassern wie betäubt, willenlos, lag sie halb auf dem
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