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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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sich nach Guérande, und der Anblick dieses alten, noch wohlerhaltenen Feudalsitzes mit seinen Festungsmauern, Türmen, Toren und den uralten Bäumen auf den Wällen entzückte Stella, und sogar ihr Mann, der durchaus keine poetische Natur war, bekannte, daß er überrascht sei; als sie aber in die Stadt einfuhren und der Wagen durch enge dunkle Gassen über holpriges Pflaster humpelte, da mißfiel ihm der Ort, und er meinte: »Elendes Nest! Bei Paris ist jedes Dorf besser gebaut.«
    Seine Frau sagte nichts, sie blickte nur träumerisch die alten Baudenkmäler an.
    Endlich hielt der Wagen vor dem ersten Gasthofe am Hauptplatze, neben der Kirche.
    Eben war der Gottesdienst zu Ende, und die Andächtigen strömten heraus. Es waren zumeist Landleute, sie hatten eine schöne Tracht, und Stella betrachtete sie mit Interesse. Die Männer trugen weiße Joppen, weite Beinkleider und einen breitrandigen Hut, die Kleidung der Frauen war besonders malerisch. Ein junges Mädchen, das wohl eine reiche Bauerntochter sein mochte, erregte Stellas Bewunderung am meisten. Sie trug eine weiße, eng an den Schläfen anliegende Haube, ein rotes, buntbesticktes Mieder, drei blaue enggefältete kurze Tuchröckchen, die die gelben Schuhe und die roten Strümpfe gar wohl sehen ließen, und eine grellgelbe Seidenschürze; ein mit Gold- und Silberstickereien bedeckter Gürtel vervollständigte die Tracht.
    »Das ist ja der reinste Fastnachtsaufzug«, sagte Herr Chabre, »so etwas kann man wirklich nur in der Bretagne sehen!«
    Stella antwortete nicht.
    Eben trat ein junger Mann, der eine alte Dame am Arme führte, aus der Kirche.
    Er war reckenhaft groß und breitschultrig, aber von jugendlicher Geschmeidigkeit, und sein schönes ausdrucksvolles Gesicht war so blendend weiß und zart wie das eines jungen Mädchens.
    Von seiner Schönheit überrascht, sah ihn Stella starr an; da wandte er sich nach ihr, blickte auch sie einen Augenblick lang an und errötete.
    »Schau«, sagte Herr Chabre, »da ist wenigstens ein vernünftiger Mensch, die andern alle sehen ja wie Jahrmarktskomödianten aus. Der wird einen prächtigen Soldaten abgeben.«
    »Es ist der junge Herr Hektor von Plougastel«, beeilte sich der Wirt zu bemerken, der, um seine Gäste zu begrüßen, herangetreten war und Herrn Chabres Bemerkung gehört hatte. »Die Dame, die er führt, ist seine Mama. Die Plougastels sind eine der feinsten und vornehmsten Familien des Landes.«
    An der Table d'hote, an welcher einige Einwohner von Guérande teilnahmen, rühmten diese das patriarchalische Leben ihrer Heimatstadt und hauptsächlich die guten Sitten der jungen Leute. Die religiöse Erziehung, die sie genossen, hätte den besten moralischen Einfluß, und die Mädchen und die Jünglinge zeichneten sich alle durch Tugend und Unschuld aus.
    So erzählten die Einheimischen mit großer Wärme, aber ein reisender Kaufmann, der mit falschem Schmuck handelte, lachte und sagte, er wäre schon öfter im Lande gewesen und hätte recht gegenteilige Dinge erlebt und gesehen. Und nun gab er allerlei Geschichten zum besten, worüber die Einheimischen so ergrimmten, daß sie sich erhoben, die Serviette hinwarfen und wortlos den Saal verließen. Die übrigen Gäste lachten, das Ehepaar Chabre sprach kein Wort; er ärgerte sich, daß man genötigt war, an Gasttafeln zu essen und solche Geschichten anzuhören, sie aber lächelte traumverloren, als habe sie von all dem nichts vernommen.
    Am Nachmittag besichtigten sie Guérande.
    In der Kirche war es erfrischend kühl. Sie gingen sachte durch das Schiff, hoben die Augen zu den hohen Wölbungen, die von zahllosen Säulen getragen wurden, und bestaunten die seltsamen Schnitzereien, die Szenen aus der Heiligengeschichte darstellten, in denen Märtyrer allen möglichen Martern unterworfen waren.
    Herr und Frau Chabre wanderten hinauf durch die engen winkeligen Gassen voll alter Giebelhäuser und Fachbauten, und Stella, die seit ihrer Verheiratung Romane las, fand, daß diese interessante mittelalterliche Stadt sehr gut der Schauplatz eines Walter Scottschen Romans sein könnte. Herr Chabre hingegen war der Ansicht, daß solch altes Gerumpel demoliert werden sollte und daß eine Stadt, die keinen Handel habe, nichts tauge.
    Als sie vor die Stadt kamen, mußten sie die hohe, aus Granit gefügte Festungsmauer bewundern. Tadellos, ohne eine einzige Bresche, als wäre sie eben erst vollendet worden, stand sie glitzernd im Sonnenscheine da. Aus den Schießscharten wucherte
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