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Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
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Beine schwer waren, blieb er immer zurück.
    Hektor zeigte seiner jungen Gefährtin die Überbleibsel der einst so prächtigen Stadt Piriac, die gegenwärtig zu einem elenden Dorfe herabgesunken ist. Er wies ihr Mauerreste voll künstlerischer Bildwerke, Stuckarbeiten von unendlicher Feinheit, er machte sie auf die prachtvollen breitblättrigen Feigenbäume, die ihre Zweige weit über die Gartenmauern streckten, aufmerksam.
    Sie besichtigten die baufälligen Hütten, schritten durch die engsten, schmutzigsten Gäßchen und beugten sich über die Brunnen, aus deren Tiefe ihnen im spiegelklaren Wasser ihr lächelnd Bild entgegenblickte. Und überallhin folgte ihnen keuchend Herr Chabre mit seinem grünen Schattenspender, von dem er unzertrennlich war.
    Den größten Spaß machten Stella die Gänse und Schweine, welche in kleinen Herden allein durch die Gassen spazierten. Zuerst hatte sie sich vor den Schweinen ein wenig geängstigt, sie fürchtete, daß diese dickwänstigen Leiber auf den dünnen Beinen umfallen und sie streifen oder gar umwerfen könnten; dazu waren sie schrecklich schmutzig und grunzten fortwährend, was sie auch beunruhigte. Aber Hektor hatte sie versichert, Schweine wären die gutmütigsten Geschöpfe der Welt, und seitdem fand sie ihre ungeschlachten Bewegungen drollig, ja sie bewunderte sie sogar, wenn sie nach einem Regen wie gewaschen erschienen: Da war ihre Haut seideglänzend und rosenrot wie ein neues Ballkleid. Sie waren wirklich hübsch! Und gar die Gänse! Es war wirklich unterhaltend, sie zu beobachten. Oft kamen sie von verschiedenen Seiten einzeln heran, sie begrüßten sich, teilten sich schnatternd offenbar wichtige Dinge mit und gingen dann zusammen auf die Suche nach Leckerbissen, Gemüseabfällen oder dergleichen. Eine war besonders bemerkenswert, sie sah ungemein majestätisch aus und wurde auch offenbar von den übrigen als überlegen anerkannt, denn sie schritt immer an der Spitze. Während aber die andern mit gesenktem Kopfe auf dem Boden herumsuchten, trug sie den ihren hoch aufgerichtet und hielt mit Feldherrnblick nach allen Seiten Ausschau. Sah sie etwas Beunruhigendes, so stieß sie einen Schrei aus, die andern streckten dann die Hälse nach derselben Richtung und wackelten mit unendlichem Geschrei ihrer wachsamen Anführerin nach. Kam ein Hund in Sicht, dann reckten sie die Hälse noch mehr und ließen heisere Pfeiftöne vernehmen.
    Diese Beobachtungen ergötzten Stella unendlich, sie konnte kein Ende finden, ihr Gehaben zu deuten. Oft trafen sich zwei Gänsegesellschaften, begrüßten sich feierlich, schnatterten miteinander – offenbar erzählten sie ihre Familienangelegenheiten – und trennten sich dann mit der Miene von Leuten, deren daheim wichtige Geschäfte harren.
    Ein besonderes Vergnügen bereitete es Stella auch, die Gänse und Schweine baden zu sehen, sie gingen zum Strande hinab und nahmen ein Bad, ganz wie die Menschen.
    Stella unterhielt sich ausgezeichnet und fand Piriac wirklich reizend.
    Sonntags gingen sie in die Kirche; zwar war dies in Paris nicht ihre Gepflogenheit, hier aber war's eine Zerstreuung, gab Gelegenheit, Toilette zu machen und Leute zu sehen. Auch war Hektor anwesend, der aus einem großen alten Meßbuch seine Andacht verrichtete. Allein über das Buch hinüber sah er sie unverwandt an, und wenn auch sein Mund ernst blieb, so lächelten ihr doch seine Augen zu.
    Nach der Messe bot er ihr beim Austritt den Arm, um sie durch den Kirchhof, der die Kirche umgab, zu führen.
    Am Nachmittag gab es nach der Vesper etwas zu sehen: Eine Prozession nach dem am Ende des Dorfes gelegenen Kalvarienberg fand statt.
    Ein Bauer trug eine mächtige blauseidene, goldgestickte Fahne voraus, dann folgten paarweise Männer, Weiber und Kinder, und in der Mitte schritt die Geistlichkeit; den Schluß bildete eine Jungfrau, die mit starken gebräunten Armen eine weiße Fahne hochhielt, und hinter ihr drängte die Menge nach. Die Prozession zog langsam aufwärts, und in der klaren Luft hoben sich die Fahnen und die weißen Flügelhauben der Weiber ungemein deutlich von dem tiefblauen Himmel, dem tiefblauen Meere ab.
    Stella fand den kleinen Friedhof rührend. Sonst war sie keine Freundin von traurigen Sachen und liebte es nicht, an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert zu werden; als sie am Tage ihrer Ankunft in Piriac von ihrem Fenster aus alle diese Gräber sah, die Kreuze, die sich wie Arme dem Himmel entgegenstreckten, konnte sie sich eines
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