Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrn Chabres Kur

Herrn Chabres Kur

Titel: Herrn Chabres Kur
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
verschwand, als ob der Boden es aufsaugte, während das Felsgestein dunkel und feuchtglänzend hoch emporwuchs.
    Stella, von dem Anblick dieser Unendlichkeit ergriffen, stand und schaute bewundernd um sich. Hektor wußte auch hier wieder Bescheid. Auf einige Felsen zeigend, die von dem Wasser glatt gescheuert waren, sagte er: »Jener grünliche wird nur zweimal im Monat vollständig freigelegt, dann eilen die Fischer hin, um Miesmuscheln, die es dort in Menge gibt, zu sammeln. Der bräunliche Fleck dort drüben, das ist eine Felsengruppe, die ›die roten Kühe‹ genannt wird, man sieht sie nur zweimal im Jahre – es ist der beste Platz für Hummern, wir aber müssen weiter zu jenen Felsen, deren Spitzen eben emportauchen.«
    Stella freute sich, als sie endlich ins Wasser gelangte, sie hob die Füße hoch und stampfte, daß der Schaum aufwirbelte und spritzte. Als sie immer weiterkamen und ihr das Wasser bis ans Knie reichte, freute sie sich des Widerstandes der Fluten und ging rascher, um ihn immer stärker zu fühlen.
    »Fürchten Sie nichts«, sagte Hektor, »das Wasser wird Ihnen bis zum Gürtel steigen, dann aber geht der Boden wieder aufwärts, und wir werden kaum die Füße benetzt haben.«
    Sie mußten einen kleinen Meeresarm durchqueren und standen nun auf einer breiten bloßgelegten Felsplatte. Als Stella sich umwandte, konnte sie einen Ausruf der Überraschung nicht unterdrücken: Piriac lag weit, weit entfernt, so daß die Häuser nur wie Punkte erschienen. Eine solche ungeheure Fläche hatte Stella noch niemals geschaut. Golden glänzte im Sonnenlichte der Sand, dunkelgrün hoben sich die Algen davon ab, dazu die ragenden Felsen – ein grandioses Bild, freilich ein Bild der Zerstörung, der Vernichtung; wenn alle Kultur zugrunde gegangen, dann wird die ganze Erde wohl diesem Bilde gleichen – – –
    Aber Stella verweilte nicht lange bei solchen Gedanken, vielmehr machte sie sich mit Hektors Hilfe ans Fischen. Sie hatten kaum ihre Netze ausgeworfen, als Herrn Chabres jammernde Stimme zu ihnen herüberdrang, er stand mitten im kleinen Meeresarm, das Wasser reichte ihm bis an den Magen, und er wagte keinen Schritt mehr vorwärts, aus Angst noch tiefer einzusinken.
    »Wie kommt man denn da durch? Geradeaus?« rief er klagend.
    »Nein, links«, antwortete Hektor.
    Er wandte sich links, da aber das Wasser noch höher drang, blieb er entsetzt stehen, er wagte sich nicht vorwärts, noch hatte er den Mut umzukehren.
    »Helfen Sie mir doch«, jammerte er, »es sind hier tiefe Löcher, ich fühl's, mein Wort darauf; da kann man ja versinken – reichen Sie mir doch die Hand!«
    »Es geschieht Ihnen nichts«, entgegnete Hektor, »wenden Sie sich rechts, Sie kommen ganz wohlbehalten herüber.«
    Der Ärmste stand noch zögernd einen Augenblick da; er war mit dem geschulterten Netze und mit seiner schön geknüpften Krawatte so komisch, daß Stella und Hektor sich eines Lächelns nicht erwehren konnten. Endlich gelang es ihm doch, durchs Wasser zu kommen, aber er befand sich noch in großer Aufregung und sagte ziemlich unwirsch: »Ich kann ja nicht schwimmen!«
    Nun hatte er zwar den Übergang glücklich überstanden, dachte indes schon mit Entsetzen an die Rückkehr, und dies Entsetzen war um so stärker, als Hektor erwähnt hatte, man dürfe sich nicht von der Flut überraschen lassen.
    »Sie wissen aber doch, wann sie kommt?« fragte er ängstlich, »und Sie werden mich rechtzeitig aufmerksam machen?«
    »Gewiß, gewiß«, versicherte Hektor, »seien Sie außer Sorge.«
    Dann begannen sie alle drei zu fischen, sie versenkten ihre engmaschigen Netze in alle Vertiefungen und Löcher. Stella war ganz leidenschaftlich bei der Sache, und sie war es auch, die zuerst etwas fing, es waren drei große rote Garnelen, die so lebhaft im Netze zappelten, daß Stella erschrocken aufschrie und Hektor zur Hilfe rief; sobald sie aber sah, daß sich die Tiere nicht mehr regten, wenn man sie beim Kopfe anfaßte, wuchs ihr Mut, und sie leerte ihr Netz nun jedesmal selbst in das Körbchen, das sie wie eine Jagdtasche umgehängt hatte. Manchmal zog sie ein Bündel Gräser aus dem Wasser und durchsuchte es sorgfältig, denn häufig hielten sich Garnelen darin verborgen. Sie fischte mit Eifer und warf von Zeit zu Zeit einen Blick in ihr Körbchen, ob es denn noch immer nicht gefüllt war.
    »Es ist merkwürdig«, sagte Herr Chabre, »ich fange gar nichts!« Natürlich konnte er nichts fangen, da er sich von seinem Standplatze nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher