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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
Autoren: Sabine Ludwigs
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    Nick Ritter ließ seinen Blick ein letztes Mal über das Zeugnis schweifen. Dabei kaute er auf der glatten Innenseite seiner Backe herum, als wäre sie aus Kaugummi.
    Das Zeugnis war okay, fand er. Es machte zwar nicht so viel her wie das letzte, in dem er, bis auf zwei Befriedigend in Kunst und Religion, nur Zweier gehabt hatte – diesmal war es umgekehrt. Außerdem stand er in Mathe und Englisch ausreichend. Aber er war ohne Schwierigkeiten in die zehnte Klasse versetzt worden. Und darauf kam es schließlich an. Er hörte mit dem Kauen auf, stopfte das Blatt in seinen Rucksack und verschloss ihn.
    Es gongte.
    „Auf Wiedersehen und schöne Ferien“, verabschiedete Frau Winter sie in bester Stimmung. Die Klassenlehrerin packte ihre Sachen ähnlich hastig zusammen, wie ihre Schüler es taten.
    Nick verstand das gut. Sie schien ja kaum viel älter zu sein als die aus der Oberstufe. Wenn Frau Winter als Pausenaufsicht über den Schulhof schlenderte, konnte man sie leicht mit einer Schülerin verwechseln. Ihm, Nick, war das schon einmal passiert: Er hatte Frau Winter einen freundschaftlichen Rempler verpasst, weil er glaube, sie wäre Katharina. Zum Glück war Frau Winter nicht verärgert gewesen. Sie lachte lediglich über sein verdutztes Gesicht.
    Und nicht nur sie.
    Als Nick an Katharinas Lachen dachte, wurden seine Ohren rot. Das merkte er an der kribbelnden Hitze. Drachenohren nannte seine Mutter dieses Phänomen.
    Die bekam er andauernd, wenn er an Katharina aus der Parallelklasse dachte, weil ihn das nämlich unweigerlich an seine erste richtige Knutscherei erinnerte.
    Das war auf Katharinas Geburtstagsfete im Juni gewesen, zu der sie ihn überraschenderweise eingeladen hatte. Die meiste Zeit stand er abseits und schaute den anderen beim Tanzen zu. Bis Katharina ihn an der Hand in das Getümmel schleifte. Während Bruno Mars „Just The Way You Are“ sang, schmiegte sie ihre Wange gegen seine.
    Nach zwei weiteren Songs, von denen Nick nur noch wusste, dass sie definitiv sehr langsam gewesen waren, weil er mit Katharina Klammerblues getanzt hatte, entführte sie ihn aus dem elterlichen Partykeller in den Garten.
    In dem Schatten einer Laube, gegen die geweißte Holzwand gelehnt, küssten sie sich. Katharinas Zunge drängte sich zwischen seine Lippen. Sie erforschte das Innere seines Mundes wie ein kleines, neugieriges Tier.
    Noch heute, Wochen danach, erinnerte er sich genau an Katharinas Küsse mit dem Pfefferminzgeschmack und an diesen eigenartigen Zustand, in den sie ihn versetzt hatten. Erstmals bekam er eine Ahnung davon, was es hieß, sich unsterblich in jemanden zu verlieben – und er fand es so aufregend, dass er befürchtete, aus seinen Ohren könnten Flammen züngeln, wenn er daran dachte.
    Er vermutete, sie mit seiner Unerfahrenheit enttäuscht zu haben. Jedenfalls war es seitdem zu seiner grenzenlosen Enttäuschung zu keiner weiteren Schmuserei mit ihr gekommen.
    Das vierklängige Gongen verebbte. Dafür schwollen Stimmengewirr und Gelächter an, wurden lauter und schriller, verdichteten sich zu der typischen Geräuschekakophonie einer Klasse und schließlich, in den Gängen, einer Schule, vor deren Schülern ein langer Sommer lag.
    Eine Woge junger Menschen wälzte sich aus dem Gebäude. Nur wenige von ihnen traten den Heimweg zu Fuß an. Ein Teil strebte in Richtung Bushaltestelle, ein weiterer zu wartenden Autos oder wie Nick, Lukas und Marvin zu den Fahrradständern.
    „Endlich Ferien!“ Marvin grinste. „Wir fliegen heute Nacht nach Mallorca. Drei Wochen!“
    „Und wir in die Türkei“, sagte Lukas. Er war Nicks bester Freund und Stürmer beim SUS Grüne Halde, in dem Nick als Verteidiger spielte.
    „Na ja, vielleicht schießt du danach ja wieder ein paar Tore für uns, Luki“, frotzelte Marvin, der Torwart ihres Vereins. „Wäre echt nicht schlecht, Alter!“
    „Was soll das heißen?“ Lukas ging zu Marvin hinüber, der in gebeugter Haltung an seinem Fahrradschloss hantierte. „Bin ich etwa der einzige Spieler in der Mannschaft oder wie?“
    „Quatsch, Mann. Aber in letzter Zeit hast du einiges verkackt. Und wir haben ewig verloren.“ Marvin richtete sich herausfordernd auf. „Und du bist schließlich Stürmer.“
    „Ah ja? Tja, Scheiße, dass wir keinen Torwart haben, der besser hält.“
    „Sag ihm, er soll sein Maul nicht zu weit aufreißen, Nick.“
    Aber Nick hatte bei dem üblichen Gezänk seiner Freunde bereits abgeschaltet. Er erging sich in einem Tagtraum, in dem
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