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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
Autoren: Sabine Ludwigs
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würden.
    „Is’ so“, bestätigte Nick, dankbar, dass seine Eltern, anders als Lukis beispielsweise, sich nicht gleich auf das Zeugnis stürzten, um ihn danach ordentlich in die Mangel zu nehmen, sondern es wesentlich gelassener angingen.
    Das rührte daher, weil seine Großeltern mütterlicherseits – beides Lehrer – ihre zwei Töchter praktisch in Lauerstellung erwartet hatten und ein Riesentamtam veranstalteten, falls die Noten nicht ihren Vorstellungen entsprachen. Was im Grunde meistens der Fall gewesen war: Die Zeugnisse konnten ihnen nie gut genug ausfallen.
    Als unerträglich hatte seine Mutter das empfunden und sich früh geschworen, es anders zu machen, sollte sie je Kinder haben.
    Also saßen sie nur zusammen und unterhielten sich über nichts Besonderes. Es war Sommer, er hatte endlich Ferien und die Spaghetti Bolognese schmeckten wunderbar. Er nahm sich zweimal nach. Trotzdem schaffte er noch grüne Götterspeise mit Vanillesoße zum Nachtisch.
    Nick konnte sich keinen Ort vorstellen, der gemütlicher und schöner und heimischer war als diese Küche!
    Dessen ungeachtet hatte er heute den unbestimmten Eindruck, es wäre etwas nicht in Ordnung. So, als ob seine Eltern sich zwar mit ihm unterhielten und ihm zuhörten, aber mit ihren Gedanken woanders wären, ganz weit weg. Selbst als das Geschirr abgeräumt war, sie alles wieder in Ordnung gebracht hatten und er schließlich sein Zeugnis auf den Tisch legte, schien das so zu sein.
    Wie vorhergesehen, waren sie nicht begeistert über die Verschlechterung seine Zensuren. Sie machten aber auch kein Drama daraus. Gut, es gab Ermahnungen und sie forderten klipp und klar, dass er seine Freizeitaktivitäten zugunsten der Schule einschränkte –was er ohnehin vorgehabt hatte und ohne Umschweife versprach.
    In Mathe, meinte Nicks Vater, würden sie sich ernsthaft um Nachhilfe bemühen. Aber in Englisch sollte er sich einfach öfter auf den Hintern setzen und pauken. „Da müssen der Fußballverein und deine Band eben hinten anstehen, Junge. Statt Gitarrensoli und Rockmusik sind Englischvokabeln und Grammatik angesagt.“
    Doch das war‘s und Nick glaubte schon, er wäre entlassen, da bat seine Mutter ihn, noch sitzen zu bleiben. „Wir möchten noch eine Sache mit dir besprechen.“
    „Okay.“ Es klang gedehnt. „Gibt es ein Problem?“
    Wieder tauschten sie einen Elternblick.
    „Ein Problem?“ Sein Vater antwortete zögerlich. „Nicht direkt. Jedenfalls nicht hier bei uns. Lass uns ausreden, dann erfährst du alles.“
    Und seine Mutter fuhr fort: „Also gut. Marion und Thomas haben ein Mädchen bei sich aufgenommen. Sie ist vierzehn Jahre alt und heißt Lina Saizew.“
    „Aha.“
    Marion und Thomas, die Schwester seiner Mutter und deren Mann, unterrichteten beide an einer Sonderschule. Nick verbrachte stets einen Teil seiner Ferien bei ihnen, und zwar sämtliche Ferien, und er liebte es bei den beiden zu sein.
    Er wusste, dass sie keine eigenen Kinder bekommen konnten. Vermutlich war es seiner Tante und seinem Onkel deswegen ein besonderes Anliegen, Kinder und Jugendliche in Notsituationen als Pflegeeltern zu betreuen.
    Sie waren in der sogenannten Bereitschaftspflege. Was bedeutete, dass ihre Gäste, wie sie es nannten, nur vorübergehend bei ihnen untergebracht wurden, bis sie in eine feste Pflegefamilie, ein Heim oder auch wieder nach Hause kamen.
    Viele von ihnen hatten Schlimmes erlebt, worüber Nick sich noch nie richtig Gedanken gemacht hatte. Diesmal war es also eine Lina Soundso.
    „Ja, und?“, fragte er.
    „Lina ist von zu Hause weggelaufen, einen Tag, nachdem ihr Bruder spurlos verschwunden ist“, sagte seine Mutter. „Man nimmt an, sie wollte ihn auf eigene Faust suchen. Zwei Wochen lang lebte sie in Abrisshäusern und U-Bahn-Stationen. Sie hatte keinen sicheren Platz zum Schlafen und nichts Anständiges zu essen. Tagelang war sie auf sich gestellt. Schließlich griff eine Streife sie in einer Kleingartenanlage auf.“
    Sein Vater übernahm an dieser Stelle: „Lina wollte nicht mit ihnen fahren. Sie sprach kein Wort. Aber sie trat und schlug aus Leibeskräften nach den Polizisten. Also brachten sie Lina in ein Krankenhaus, wo sie sich ein wenig beruhigte und man feststellte, dass sie weder Alkohol noch Drogen genommen hatte.
    Lina schien also in Ordnung zu sein. Aber als ihre Mutter und ihr Stiefvater kamen, um sie abzuholen, erlitt sie einen hysterischen Schreikrampf.
    Sie holten einen Psychologen, und der war der Ansicht, dass
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