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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
Autoren: Sabine Ludwigs
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vermochte sich auch keiner zu erklären, wie er überhaupt an die Adresse von Linas Aufenthaltsort gelangt war.
    Aber, fragte sich Nick, spielt das überhaupt noch eine Rolle? Nach alledem? Er schüttelte den Kopf, wie um sich selbst eine Antwort zu geben.
    Nein. Nein, es war völlig einerlei. Tatsache blieb, dass Manni es geschafft hatte, unbemerkt bis zu Lina kommen. Seine Hände um ihren Hals zu legen. Zuzudrücken, um ihr das Maul zu stopfen, endgültig.
    Nick konnte nicht sagen, wie und was genau in dieser verhängnisvollen Nacht passiert war. Denn eine gnädige Macht hatte seine Erinnerungen geschwärzt. Er war dankbar dafür und hoffte, es möge so bleiben. Für immer und ewig.
    Aber sie hatten ihm davon erzählt. Natürlich. Sie hatten behauptet, dass alles rasend schnell vonstattengegangen war, es keinen Moment des Nachdenkens, des klaren Verstandes gegeben hatte. – Und dann war es vorbei gewesen. Von einem Moment zum anderen.
    Er beschwor Linas leichenblasses Gesicht herauf. Die bläulichen Lippen. Die übergroßen, starren Pupillen im Nebel ihrer Iris.
    Er erinnerte sich in aller Klarheit, sich selbst in diesen Pupillen gesehen zu haben, und dass es hinter seinen eigenen Augen zu pochen begonnen hatte. Dass der folgende Kopfschmerz unmittelbar in seinen Schädel gefahren war, wo er alles andere auslöschte. Nie zuvor hatte er Schmerz als Wohltat empfunden!
    Nick setzte sich auf die kühle Fensterbank und machte es sich bequem, lehnte den Kopf gegen die Wand. Er schaute zu, wie die Sterne nach und nach lichtloser wurden.
    Er wollte, Lina wäre bei ihm im Zimmer, weil er dringend jemanden brauchte, der ihm half. Einen Menschen wie sie. Nein, er brauchte keinen Menschen wie sie, er brauchte sie: Lina Saizew. Er musste wieder lernen zu laufen. Zu reden. Zu leben. Einfach alles.
    Er ertappte sich dabei, dass er in Richtung Sonnenzimmer auf den Klang von Marions Gitarre lauschte, auf der Lina niemals wieder spielen würde.
    Blind tastete er nach seinem eigenen Instrument. Er fand es gegen die Wand unter der Fensterbank gelehnt und begann die ruhigen Elemente von „Walk“ zu spielen.
    Linas letzte Gedanken vor dem Einschlafen
    Ich hatte der Polizei folgendes über Manni gesagt: Er ist groß. Knapp zwei Meter. Dazu stämmig, fast kräftig. Die glatten, dunkelbraunen Haare fallen ihm dauernd über das blanke Metallgestell seiner Brille ins glatt rasierte Gesicht. Seine Miene sieht so aus, als hätte er in etwas Verdorbenes gebissen. Er trägt meist Segeltuchschuhe, weil die so leise beim Auftreten sind. Und er kann schrecklich böse werden.
    Aber sie haben ihn nicht gekriegt.
    Vielmehr stand er mitten in der Nacht urplötzlich in meinem Zimmer! Als wäre er wie ein Pilz aus dem Boden geschossen. Ich erwartete, dass er was sagte. Mir drohte. Mich einschüchterte. Beschimpfte. – Aber er, er blieb vollkommen stumm.
    Stattdessen langte er nach mir. Blitzschnell. Wütend wie eine Furie. Und er bekam mich zu fassen. Packte mich ganz fest! Legte seine Riesenpranken um meinen Nacken, die Daumen auf den Hals. Drückte zu, trieb mir die Gurgel wie einen verschluckten Pfirsichkern in die Luftröhre.
    Mir blieb keine Gelegenheit zu rufen: „Hör auf!“ oder um Hilfe zu schreien. Keine Gelegenheit! Alles erstickte. Seine mitleidlosen Hände walkten meinen Hals wie einen widerspenstigen Klumpen Ton.
    Meine Beine strampelten. Meine Hände rissen an seinen. Meine Nägel kratzen über seine Haut.
    Ich röchelte. Ich röchelte in panischer Angst. Ich japste. Ich schnappte. Nach Luft. Luft! LUFT!!!
    Alles schwirrte. Versank danach in grelles Weiß. Wurde wolkenweich. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, konnte ihn nicht kontrollieren. Lag einfach vor Manni, wartete, dass er mir den Rest gab und ich zu den Sternen ging.
    Wie du, Jan.
    Die Nachttischlampe knallte auf den Boden, ging zu Bruch. Mühsam hob ich die tonnenschweren Lider, schaute noch einmal, ein letztes Mal, in die Fratze des Monsters, die über mir hing wie eine unheimliche Halloweenlaterne.
    Als irgendetwas geschah.
    Mit Mannis Kopf.
    Da war eine tief eingedellte Schläfe.
    Sein Blick wurde vollkommen leer. Ebenso sein Gesicht. Tiefrote Rinnsale sickerten wie dickflüssige Lava darüber.
    Ich spürte Spritzer auf meiner Stirn, den Wangen, am Nasenbein. Sie rochen nach Kupferdraht, waren sehr warm und ein bisschen klebrig.
    Und dann, dann atmete ich schmerzhaft. Ein. Und aus. Ein. Aus. Und wieder ein.
    Manni fiel in sich zusammen. Als er zur Seite kippte,
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