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Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Titel: Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Autoren: Stefanie Simon
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I. Durch den Gang
    1.
    K raaeeee! Der Schrei ging ihm durch Mark und Bein. Royia glaubte für einen Augenblick, ihn tatsächlich zu hören. Aber die Stimme seines Axots dröhnte nur in seinem Kopf. Er rannte den Ast entlang. Dann über die unter seinen Füßen wippende Spitze, schlüpfte durch Blattwerk und sprang an den giftsprühenden Fäden eines Schmarotzergewächses vorbei auf einen Ast des nächsten Baumes. In der weitverzweigten Krone eines mächtigen Anguas versuchten drei halbwüchsige Jungen das Tier zu bändigen. Sie nahmen den stillen Hilfeschrei des Axots nicht wahr; sie vermochten es nicht. Fest hielten sie die Seile umklammert, die sie über das Tier geworfen hatten. Mit kräftigen Flügelschlägen kämpfte die Flugechse dagegen an. Eine Schlinge lag um ihren Schnabel; ihr Kopf ruckte hin und her, um sie abzuwerfen. Der hakenbewehrte Schwanz peitschte durch die Luft. Die wendigen Jungen duckten sich, ohne die Seile loszulassen.
    »Verletzt sie nicht!«
    Das Seil glitt von ihrem Schnabel, sie legte den Kopf in den Nacken und stieß ein ohrenbetäubendes Kreischen aus. Die Priesterschüler wollten vor Royia auf die Knie fallen, doch er schob sie beiseite und reckte sich nach dem Hals der Flugechse. Sofort beruhigte sich das Axotweibchen. Unter den Fingern spürte Royia bebende Muskelstränge.
    Aja will nicht sein ohne dich.
    »Aja, ach, Aja.« Er hob eine Hand, und Aja neigte den Kopf, so dass er über den herzförmigen violetten Fleck ihrer roten Stirnhaut streichen konnte. »Es ist alles gut … alles gut … halt still.«
    Du bei Aja bleiben.
    Die Trauer in ihrer lautlosen Stimme tat ihm weh. Ihre Zunge schnellte hervor und legte sich um sein Handgelenk; ihr mit glänzenden Zahnreihen besetzter Schnabel schnappte spielerisch nach seiner Hand. Er rieb ihre zarten Nüstern, und sie gurrte in seinem Kopf.
    »Geht beiseite und wartet, bis sie sich beruhigt hat«, befahl er den Jungen. »Dann versucht es noch einmal.«
    Die drei Novizen, die sich in einiger Entfernung niedergekauert hatten, haspelten Entschuldigungen.
    Er könnte Aja eigenhändig an einen der dicken Äste des Anguabaumes binden. Aber das würde sie noch mehr verwirren. Als er die Jungen ehrerbietige Grußworte murmeln hörte, blickte er über die Schulter. Ein Mann stieg eine der Treppen herab, welche die Äste des gewaltigen Anguas miteinander verbanden. Auf den ersten Blick war seine mit Jadesteinen geschmückte Gestalt kaum vom üppigen Blattwerk zu unterscheiden. Die Steine, die an ledernen Schnüren hingen, klapperten aneinander, als er leichtfüßig über schwingende Stufen hinweg auf Royia zuschritt.
    »Der Herr der Welt ruft dich in den Kreis der Götter«, sagte der Toxinac mit verlegenem Lächeln. Auch er fiel auf die Knie. »Lass ihn nicht warten wegen des Axots.«
    »Aja ist ängstlich.« Royia unterdrückte einen Anflug von Ärger, denn der war nicht angebracht. Der Priester und die Schüler taten nur, was unumgänglich war. »Sie begreift nicht, weshalb ich sie verlasse. Und weshalb man sie festbindet.«
    »Damit sie die Zeremonie deines Abschieds nicht stört. Als zuletzt ein Erwählter ging, gab es einen ziemlichen Aufruhr wegen seines störrischen Axots. Es wollte ihn einfach nicht gehen lassen. Sobald du fort bist, wird man deinem Axot die Freiheit schenken. Das wird es dann sicher zu würdigen wissen. Ich werde mich selbst darum kümmern, wenn es dich beruhigt.«
    »Gib mir noch einen Augenblick.« Royia berührte den Kopf des Priesters, um ihm das Aufstehen zu gestatten, und kehrte ihm den Rücken zu. Aja, hör mir jetzt gut zu. Wenn man dich freilässt, flieg den Berg hinauf. Irgendwo dort oben ist der Goldene Bergpalast, dort werde ich sein. Halte nach mir Ausschau. Ich werde dich in Gedanken rufen. Wir werden uns finden, und dann sind wir wieder zusammen. Hast du das verstanden?
    Der Kopf der Flugechse ruckte hoch. Die roten Augen funkelten verwirrt. Mochten Axots die intelligentesten Tiere sein – sie waren kaum verständiger als ein vierjähriges Kind.
    Ob auch die früheren Erwählten ihre Axots heimlich aufgefordert hatten, ihnen auf den Berg zu folgen? Oder hatten sie eingesehen, dass kein Mensch und kein Tier der Wegbegleiter eines Gottes bleiben konnte, sobald er in den Kreis des Gott-Einen trat? Rasch verschloss er seine Gedanken, um Aja nicht noch mehr durcheinanderzubringen.
    »Hast du das verstanden?«, fragte er so leise, dass es fast unterging im allgegenwärtigen Rauschen des Windes, der durch die
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