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Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Titel: Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Autoren: Stefanie Simon
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Schnabels. Halb flog, halb kletterte sie über ihm in die Höhe, immer wieder den länglichen Kopf drehend, ob er auch hinter ihr blieb. Mühelos folgte er ihr, an den Ballen mit dem Baum verbunden; lediglich seine Finger nutzten kleine Vorsprünge in der rissigen Rinde, um den Halt zu unterstützen. Nur einen halben Dornschuss entfernt ragte die graue, zerklüftete Wand des Berges auf. Hier und da sprudelte Wasser aus Spalten und floss über Moosteppiche hinab. Royia konnte die Wärme spüren, die der Fels ausstrahlte. Er unterdrückte den Wunsch, hinüberzuspringen und sich rasch in einem der Quellbecken zu erfrischen. Ob es so etwas auch im Bergpalast gab? Man sagte, dort gebe es Genüsse, die das Bad in einer Quelle im alten Leben einer Folter gleichkommen ließen.
    Aja stieß ein Fauchen aus, das so erschrocken wie bedrohlich klang. Lauerte eine Cijac im Geäst? Royia riss die Hand hoch, bereit, einen Dorn von dem Menschentöter an seinem Unterarm abzuschießen.
    Ein Gesicht schob sich durchs Blattwerk. Ein schmächtiger Mann unbestimmbaren Alters kauerte am Stamm, den Arm um einen Ast gelegt. Misstrauisch beäugte er das Axot, das Royia mit einem kräftigen Klaps auf die Hinterbeine zum Weiterklettern aufforderte. Aja fauchte den Fremden an und ließ ein unterdrücktes Knurren folgen.
    »Aja, ruhig!« Zu dem Mann gewandt sagte er: »Sie tut dir nichts.«
    »Du bist der Erwählte?« Die Stimme des Fremden war so dürr wie er selbst.
    Royia antwortete nicht. All diese ewig gleichen Fragen waren ihm lästig: Bist du es? Bist du der nächste zukünftige Gott? Wie ist der Gedanke, dass man hundert oder sogar tausend Jahre leben wird? Wie fühlt es sich an, wenn das Feuer durch deine Adern rauscht?
    Vorsichtig, ein Auge auf Aja, schob sich der Fremde näher. Um Hals und Arme lagen Ketten aus bemalten Holzstöckchen – die Chacu und auch die anderen Waldstämme, die Royia kannte, trugen solch schäbigen Schmuck nicht. Wo mochte der Fremde her sein?
    »Natürlich bist du es«, flüsterte er. »Ich will nur ganz sicher sein.«
    »Ja, ich bin es.«
    »Ich habe das Axot befreit.«
    » Was hast du? Hast du zu viele Cupalblätter gekaut, die dir den Kopf benebelt haben?«
    »Verzeih mir, o baldiger Gott!« Der Mann zog den Kopf ein und hob bittend die geöffneten Hände. »Ich hatte gehofft, es lockt dich von den Toxinacen fort. Dass es dich in die Tiefe reißt, war nicht meine Absicht. Bitte verzeih mir, Erwählter. Es war meine letzte Hoffnung, dich allein anzutreffen. O, verzeih mir Nichtswürdigem …«
    »Schon gut!« Dieses Gejammer war nicht zu ertragen. »Warum hast du das getan? Wer bist du?«
    Nervös blickte der Fremde nach oben, als könne er durch das volle Geäst die Plattform mitsamt den versammelten und wahrscheinlich äußerst unruhigen Priestern sehen. »Jemand hat mir aufgetragen, dir das hier zu geben.« Er tastete an seinem Bastschurz herum. »Du sollst es lesen, bevor du gehst.« Die andere Frage missachtend, streckte er ein Kerbzeichenholz vor.
    »Und das hättest du mir nicht oben geben können?«, schnaubte Royia.
    »Man hat mir gesagt, dass es keiner sehen darf.«
    Unwillkürlich griff er danach und betrachtete das mit Blättern umwickelte Stöckchen.
    »Öffne es. Bitte, o Herr.« Die Stimme des Mannes war ein ängstlicher Hauch.
    Widerstrebend löste Royia die Verschnürung und wickelte die Blätter ab. Die geschnitzten Kerben zu lesen, war nicht eines seiner herausragenden Talente. Die meisten Männer seines Stammes konnten es nicht richtig.
    »Ich bin doch kein Stadtmensch«, brummte er in sich hinein, während er den Anfang suchte. »Dort, sagt man, übersäen sie die Wände mit nutzlosen Zeichen und Bildern. Als könnte all das die Wirklichkeit ersetzen.« Hin und her drehte er das Holz, und endlich gelang es ihm, die Botschaft zu entziffern.
    Geh nicht durch den Jadegang. Deine Schmerzen werden dort oben nicht enden. Das Leben im Licht ist eine Lüge. Dies sagt dir einer, der es gut mit dir meint.
    »Wer soll denn das sein?«, fragte Royia verblüfft. Als er wieder aufsah, war der Mann im Begriff, im Blattwerk zu verschwinden. Offenbar hatte er sich nur überzeugen wollen, dass die Botschaft gelesen wurde.
    »Warte! Verdammt!« Royia warf das Kerbzeichenholz von sich und sprang dem Fremden hinterher. Er bekam den Bund des groben Bastschurzes zu fassen, warf sich auf den Mann und riss ihn zu sich herum. Ängstlich keuchte der Fremde, als sie durch die dichtbelaubten Zweige fielen. Ein
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