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Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Titel: Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Autoren: Stefanie Simon
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wie diese Wand beschaffen war.
    Doch als er die Hand ausstreckte, um sich an einer scharfen Kante die Haut aufzureißen, vernahm er ein Grollen tief aus dem Berg. Es hörte sich an, als wollte sich die Wand öffnen. Ein grüner Lichtstrahl schoss aus einer sich öffnenden Spalte und traf seine Brust. Ein Gang tat sich vor ihm auf.
    Er sah goldene Adern, eingeschlossen in schimmerndes Grün. Ein glänzendes Gewölbe, hell wie der Tag, ein Wunder inmitten des Berges.
    Geh nicht durch den Jadegang  … Das Leben im Licht ist eine Lüge.
    »Bei Toxina Icas Leuchten!« Royia schlug eine Faust gegen die Wand. Sein ganzes Leben hatte er in der Erwartung verbracht, diesen Weg zu gehen. Er musste ihn gehen. Er wollte! Wie hatte jemand so dreist sein können, zu glauben, dass ein paar Worte in einem Kerbzeichenholz ihn, einen Erwählten, abhielten? Das war lächerlich. Es war grotesk.
    Entschlossen straffte er die Schultern. Er würde gehen. Was auch sonst?
    Aber konnte er gehen, ohne Xocehe und die Toxinacen vor jener verleumderischen Stimme zu warnen? Auf dem Berg angekommen, würde er es womöglich nicht mehr können. Götter beeinflussten das Leben der Menschen, doch nie hatte er davon gehört, dass sie zu ihnen gesprochen hätten oder gar jemandem erschienen waren. Sie waren weder allmächtig noch allsehend.
    Der Gott-Eine würde wissen, was zu tun war. Allein der Gedanke jedoch, Toxina Ica damit zu belästigen, ließ Royia zutiefst erschaudern. Nein, das erledigte er besser noch in seinem alten Leben.
    Die Pracht blendete ihn, wollte ihn heranziehen. Er bot allen Willen auf, um sich umzudrehen und im hinausströmenden Licht die Treppe hinabzueilen. Auf dem Felsplateau erstarrte er, überrascht, dass schon die Nacht hereinbrach. Er hatte tatsächlich eine lange Zeit im Berg verbracht. Die Plattform war verlassen.
    Er hastete über die Brücke, kletterte durch die Krone eines großen Anguas und sprang. Seine ausgestreckten Hände berührten den nächsten Baum, in dessen Krone Xocehe wohnte. Er rutschte ein Stück abwärts, aber mühelos fing er sich und rannte den Stamm hinauf. In weiter Ferne ragten die Türme der feindlichen Stadt aus dem Dunst, rotgolden aufleuchtend im schwindenden Sonnenlicht. Lichter blitzten in ihren steinernen Bauwerken auf. Wie friedlich sie scheint  … Es würde interessant sein, den Ort der Verderbtheit aus der Höhe des Goldenen Bergpalastes betrachten zu können. Vielleicht sah er sogar das Kalte Land jenseits der fernen Bergketten, die jetzt nichts weiter als ein kaum wahrnehmbares Band am Horizont waren. Weit oben lief er über einen Ast, so dick, dass zwei Männer nötig wären, ihn zu umfassen, und so lang wie zehn von ihnen. An seinem Ende lag Xocehes aus den Luftwurzeln von Riesenorchideen geflochtene Behausung, wie eine riesige Samenkapsel auf einer ausgestreckten Hand. Ihre Öffnungen waren mit Tüchern verhängt, die im Wind raschelten. Der rötliche Abendhimmel schimmerte durch das zarte Gebilde. Kein Schatten verriet Xocehes Anwesenheit.
    Sie zu suchen, kostete Zeit, die er nicht besaß. Er musste zum Baum der Toxinacen. Oder sollte er sich irgendeinen Mann suchen und beauftragen, die Botschaft weiterzugeben? Aber bis zu den Baumhütten seines Stamms wäre es ebenfalls ein weiter Weg.
    Lass es gut sein, sagte er sich. Die Ordnung der Welt hängt nicht davon ab, ob ich jemandem von meiner Begegnung erzähle.
    Er kehrte zum Felsplateau zurück. Noch immer floss das Jadelicht über den Boden, wie lebendige, fingernde Nebelschwaden. Es lockte, wollte ihn an sich ziehen. Sein Herz sehnte sich danach, seiner Bestimmung zu folgen. Er schritt auf den Höhleneingang zu.
    Geh nicht durch den Jadegang. Das Leben im Licht ist eine Lüge. Geh nicht … geh nicht … geh nicht.
    Die Worte hämmerten im Takt der Schritte in seinem Kopf. Natürlich würde er gehen. Der Gott-Eine war die Sonne, sein Palast strahlend. Leben, Licht, Freude. Freude! Freude!
    Aber etwas war falsch. Etwas fehlte. Er blickte zurück.
    Aja. Sein Axot hätte bemerkt, dass er noch einmal zurückgekehrt war. Es hätte in seinem Kopf nach ihm gerufen.
    Doch Aja schwieg.

    Das Seil, mit dem sie gebunden gewesen war, glitt durch Royias Finger. Er rief nach ihr. Nichts. War sie in ihrer Verzweiflung fortgeflogen?
    Aja! Aja, wo bist du?
    Er blickte hinüber zu den Behausungen der Priesterschüler: Hütten in den Kronen und auf den Ästen, miteinander verbunden durch Schlingen und Planken, durch Treppen und Brücken.
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