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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses
Autoren: Jaume Cabré
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    Ein kaum merkliches Geräusch an der Tür, eine sachte Berührung. Lautlos schwang sie auf, und eine behandschuhte Hand griff nach dem Knauf an der Innenseite, um ihn am Zurückschnappen zu hindern. Die Tür schloß mit einem leisen Ächzen. Eine dunkle Gestalt schlich durch die dunkle Wohnung, schweigend verfolgt von Juris an die Finsternis gewöhnten Augen. Der Eindringling betrat das Arbeitszimmer und fluchte leise, als er die hochgezogene Jalousie sah. Der plötzliche Kälteeinbruch hatte die Landschaft in ein eisiges Grab verwandelt. Das Schneegestöber vor dem Fenster ließ die Nacht noch stiller erscheinen, nicht einmal das Rauschen des Flusses war zu hören. Er beschloß, die Jalousie nicht herunterzulassen, denn niemand durfte jemals erfahren, daß er in dieser Nacht in dieser Wohnung gewesen war.
    Mit einem verdrossenen Seufzer setzte er sich an den Computer, stellte seine Mappe neben dem Stuhl ab und schaltete das Gerät ein. Er bemerkte, daß der Tisch ordentlich aufgeräumt war. Das würde seine Arbeit erleichtern. Juri war ihm still zum Arbeitszimmer gefolgt und beobachtete ihn nun, noch stiller, von der Tür aus. Das bläuliche Licht des Bildschirms erfüllte das Zimmer, und der Eindringling hoffte, daß der schwache Schein weder von der verlassenen Straße noch vom anderen Ende der Wohnung aus zu sehen sein würde. Am Rand des Bildschirms klebte ein Post-it, auf dem stand: »Guten Morgen! Das Futter steht im Schrank über dem Kühlschrank. Danke für alles!« Er sah die Dateiordner durch, zog die Schachtel mit den Disketten aus der Tasche seines Parkas und begann, geduldig eine Datei nach der anderen zu kopieren. Irgendwo im Haus hustete jemand. Er stellte sich vor, daß es die Nachbarn von unten waren,die müde und angetrunken von einer Party nach Hause kamen und vor sich hin murrten, daß sie dafür eigentlich zu alt seien. Das Geräusch eines Wagens durchbrach die nächtliche Stille. Er fuhr langsam, wohl wegen des Schnees. Warum brauchen Computer so lange, wenn man es eilig hat? Warum summen sie so laut, wenn sie doch angeblich geräuschlos sind? Plötzlich klingelte das Telefon, und der Eindringling erstarrte. Er schaltete den Computer aus, obwohl er mitten in der Arbeit war, und blieb reglos sitzen, wie versteinert. Ein Schweißtropfen rann ihm über die Nase, aber er wischte ihn nicht ab, denn eigentlich war er ja gar nicht da. Am anderen Ende der Wohnung rührte sich nichts.
    »Im Augenblick bin ich nicht erreichbar. Sie können aber nach dem Piepton eine Nachricht hinterlassen.«
    »Hör mal, ich kann morgen früh nicht kommen, wir haben eine weitere Ladung Steine für Tremp bekommen, und meine Tochter besteht darauf, daß ich fahre. Mach dir keine Sorgen, ich komme gegen Mittag vorbei, vor dem Essen. Tschüß. Viel Glück und einen Kuß. Ich besuche dich bald. Ach, und noch was: Du hast recht, man hört tatsächlich den Pamano rauschen.«
    Ein zweimaliges Piepen. Eine Männerstimme, rauh vom Tabak und vom Kaffee mit Schuß, jemand, der unüberhörbar aus dieser Gegend kam und vertrauensvoll von morgen sprach. Der Eindringling wartete einige Minuten lang, ob sich eine Tür öffnete. Nichts. Niemand. Zu seinem Glück hatte Juri beschlossen, keinen Laut von sich zu geben und weiter bewegungslos im Verborgenen zu bleiben. Erst als die Erinnerung an das Schrillen des Telefons verklungen war, als er wieder die Schneeflocken hören konnte, die alles sanft verhüllten, atmete der Eindringling auf und schaltete den Computer wieder ein.
    Juri wußte nicht, was er tun sollte, und so verließ er vorerst seinen Posten und versteckte sich im Wohnzimmer, lauschte aber auf jedes Geräusch, das aus dem Arbeitszimmer drang.
    Der Eindringling machte sich wieder an die Arbeit. Raschfüllte er fünf Disketten mit allen Dateien, die in den Ordnern mit den Initialen O. F. gespeichert waren, und mit einigen anderen, um ganz sicherzugehen. Als er damit fertig war, verschob er all diese Dateien in den Papierkorb des Computers, leerte ihn und vergewisserte sich, daß wirklich alle betreffenden Dateien gelöscht waren. Dann legte er eine neue Diskette mit dem Virus ein, lud sie hoch, nahm sie wieder heraus und machte den Computer aus.
    Er schaltete die Taschenlampe ein und klemmte sie sich in den Mund, um die Hände frei zu haben. Mühelos fand er im Aktenfach des Schreibtischs die drei Ordner, die ihn interessierten, und nahm sie heraus. Sie enthielten Papiere, Fotos und Dossiers. Er ließ alles in seiner Mappe
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