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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses
Autoren: Jaume Cabré
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auf.«
    »Wie viele Leute sind da?«
    »Eine Menge«, log Gasull. Die Menge bestand aus ihnen, den Würdenträgern, der Báscones und etwa dreißig weiteren Leuten, weniger als die Delegation, die in den Vatikan gereist war. Während die Vorbereitungen liefen, flüsterte Arnau seinem Vater ins Ohr, als wäre er Gasull: »Wie geht es Mutter?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Stille. Beide starrten geradeaus, zu dem abgedeckten Gedenkstein und Evaristo hinüber, der heute seinen großen Tag haben würde.
    »Stimmt was nicht?«
    »Nein, aber … Soviel ich weiß, geht sie heute ins Krankenhaus. Sie hat ein Problem …«
    »Was hat sie?«
    »Eine Geschwulst in der Brust. Aber sie will nicht mit mir darüber reden.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Was weiß denn ich!«
    »Du weißt es nicht?«
    »Nun: Der SMS nach zu schließen, die sie mir freundlicherweise geschickt hatte, dürfte sie jetzt etwa bei Tremp sein.«
    »Na so was. Vielleicht sind wir aneinander vorbeigefahren.«
    »Wir haben uns getrennt, deine Mutter und ich. Sie will nicht, daß ich sie im Krankenhaus besuche.«
    Arnau wandte den Kopf zu ihm hin. Er saß einen Augenblick mit offenem Mund da.
    »Es ist doch hoffentlich nicht meinetwegen, wegen meiner Entscheidung …«
    »Nein. Sie sagt, sie braucht mehr Bewegungsfreiheit.« Jordi sah zur Seite. »Du wirst schon sehen, wenn sie erst wieder zur Vernunft kommt, wird alles wieder gut.«
    Der Junge wollte sagen, ich werde für euch beten, verkniff es sich aber gerade noch rechtzeitig.
    »Jetzt hat der Bischof den Bürgermeister zu sich gebeten und nimmt dieses Gerät aus dem Weihwasserbecken.«
    »Den Weihwasserwedel.«
    »Genau. Ich nehme an, jetzt werden sie den Stein enthüllen.«
    »Daß sie mich bloß nicht nach vorne rufen.«
    »Sie wissen schon Bescheid, Elisenda … Sie werden dich nicht behelligen.«
    »Wer wird das Tuch wegziehen?«
    »Ich nehme an, diese Dame …«
    »Wie sieht sie aus?«
    »Sie ist klein, geschwätzig, stark geschminkt …«
    »Die Báscones.«
    »Ist dir das nicht recht?« fragte Gasull, zu allem entschlossen.
    »Es ist mir gleichgültig.Was noch?«
    »Nun, jetzt hat die Dame das Tuch an einem Ende gepackt und zieht. Nein, sie müssen ihr helfen. Bürgermeister Bringué.«
    Beim Klang dieses Namens rümpfte Elisenda Vilabrú die Nase. Aber sie fragte nur: »Und was noch, was noch?«
    Jetzt war das Tuch fortgezogen, der Gedenkstein für Oriol Fontelles Grau lag in seiner ganzen Pracht offen vor den gut dreißig Zuschauern, und diese sahen, daß einer der ewig Unzufriedenen eine Botschaft in schwarzer Farbe quer über Granit und Marmor gesprüht hatte. »Faschos raus«, war da zu lesen. Evaristo überlief es kalt, denn das bedeutete Probleme; sein Ehrenfoto konnte er wohl vergessen.
    »Warum ist es so still?«
    »Nun ja, die Leute …« Gasull wußte nicht, wohin er blicken sollte. »Der Gedenkstein ist so schön … Und hier sieht er großartig aus.«
    Senyora Elisenda begann, leise in die Hände zu klatschen. Gasull fiel ein, dann die Báscones, dann der Pfarrer. Und noch zwei Bürger. Jordi nicht. Er spähte besorgt nach rechts und links und dachte, wo zum Teufel bin ich hier nur gelandet, wer war dieser Typ, jetzt stellt sich raus, daß er offenbar ein Faschist war, ich möchte hier weg, hier mache ich mich zum Deppen mit Priestern und diesen Junkies, die alles mit Graffiti vollschmieren; hoffentlich fotografiert mich keiner.
    Nun applaudierten noch mehr Leute, beinahe alle. Der Applaus war so kümmerlich, daß Elisenda verstand, daß Gasull sie belogen hatte, was die Zahl der Zuschauer betraf. Egal, ob dich heute viele oder wenige ehren, das ist erst der Anfang, Oriol, Geliebter, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein geliebter Name; das ist erst der Anfang, so wie der Tag, an dem ich vor deinem fertigen Bild applaudiert und gesagt habe, es ist ein Kunstwerk.
    »Ich weiß nicht«, hast du gesagt, mein Geliebter, »aber es ist aus meinem Inneren gekommen.«
    Und so hat alles begonnen, denn am Anfang war der ersteKuß, den ich dir auf die Stirn gegeben habe, nachdem du mich tagelang mit dem Pinsel geküßt hattest. Wie konntest du mich nach alledem nur verraten? Warum hast du mich in diese ausweglose Situation gebracht, mein elender Schurke?
    Sie hörte, wie die Leute mit den Stühlen rückten und der Pfarrer irgend etwas über diesen wunderbaren Tag sagte und die Rührung, die uns alle ergriffen hat.
    Beinahe wäre sie in Tränen ausgebrochen. Siehst du, Gott? Jetzt ist er
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