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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses
Autoren: Jaume Cabré
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ich, wie der Generalstab des Maquis herausgefunden hat, daß Pardines ein Spitzel war, wenn die erfahren, daß ich das alles Oriol erzählt habe, bin ich dran.
    »Kamerad.«
    Gómez Pié kam aus dem Haus des Lehrers. Seine einzige Beute war ein Aschenbecher voller Kippen.
    »Und?«
    »Hat der Lehrer geraucht?«
    »Nicht, daß ich wüßte.«
    »Also hatte er Besuch.«
    »Ist das alles?«
    O ja, du hast Dinge hinter meinem Rücken getrieben, nicht nur Elisenda flachgelegt. Wie viele Geheimnisse hastdu an die Kommunisten ausgeplaudert, du Scheißkerl. Verdammt noch mal, ich hatte recht, jemandem zu mißtrauen, der nicht absahnen wollte.
    Targa setzte sich auf den Stuhl des Lehrers, als wollte er die Geheimnisse des spezifizierenden Adjektivs erklären oder Elvira Lluís bitten, den Konjunktiv zwei des Verbs »backen« herzusagen. Was für eine gottverdammte Nervensäge, dieses Gör, hustet den ganzen Tag, ich wüßte schon, wie man ihren Husten ein für allemal kurieren könnte. Hinter ihm lagen, von der Tafel verborgen, die Hefte mit Oriols Lebensgeschichte, aufgeschrieben für seine Tochter, sein einziges Geheimnis. Nichts. Er war schlau, hatte nichts aufbewahrt, was irgend jemanden in die eine oder andere Richtung kompromittieren könnte. Er stand auf, gerade als Balansó hereinkam, der doch kein Problem mit seinem Knie hatte, weil er es sich erst einige Jahre später bei einem Motorradunfall verletzen würde. Keuchend sagte er: »Kamerad, Kamerad Claudio Asín wird zur Beerdigung kommen.«
    »So ein Mist.«
    »Aber das ist doch eine Ehre, Kamerad.«
    »Wer hat ihm gesagt, daß …«
    »Hochwürden August Vilabrú erzählt es überall herum. Es werden eine Menge Leute kommen, sogar Kameraden aus Tremp.«
    »Mitten im Krieg«, warf Gómez Pié ein. »Und da kommen sie …«
    »Wir sind nicht im Krieg, Kamerad«, unterbrach ihn Targa. »Das ist nur ein Scharmützel.«
    »Weißt du was, Sohn? Bei den Friedhöfen in kleinen Dörfern muß ich immer an Familienfotos denken: Alle kennen sich, alle halten still, einer neben dem anderen, für alle Ewigkeit, jeder hat den Blick auf seinen Traum gerichtet. Und der Haß ist ganz verwirrt von so viel Stille.«
    »Dieser Text soll auf den Stein, Serrallac.«
    »In Ordnung. Aber Heldentod schreibt man mit ›d‹ am Ende.«
    »Bist du sicher?« Targa warf ihm einen beunruhigten Blick zu.
    »Das ist meine Arbeit.«
    »Na, dann schreib es so. Aber wenn ich rausfinde, daß du dich geirrt hast, kannst du was erleben, es kommen nämlich wichtige Leute.«
    »Ja, Senyor Valentí.«
    »Zur Beerdigung muß er fertig sein, damit die, die von außerhalb kommen, ihn bewundern können.«
    »Ja, Senyor Valentí.«
    »Heute, mein Junge, müssen wir uns ordentlich ranhalten. Und glaub bloß nicht, daß ich diesen Grabstein gerne gemeißelt habe, und wenn er hundertmal dein Lehrer war. Ich mach nicht gern was zur Erinnerung an einen Mörder. Manchmal müssen wir eben Dinge tun, die uns nicht gefallen, und das hier ist so was: Er starb den Heldentod für Gott und Vaterland und war an einem Verbrechen beteiligt, das wir nie vergessen werden. Ist alles schön in der Mitte?«
    »Ja.«
    »Siehst du, hier meißle ich einen Nagelkopf ein.«
    »Einen in jede Ecke.«
    »Sehr gut, Junge, bald hab ich dir alles beigebracht. Der Lehrer verdient soviel Mühe gar nicht, aber ich kann nun mal meine Arbeit nicht schlecht machen.«
    »Ja. Darf ich ihn polieren,Vater?«
    »Verdammter Lehrer, du warst schlimmer als Senyor Valentí, der verstellt sich wenigstens nicht.«
    »Serrallac: das Joch und die Pfeile. Das haben sie extra aus Lleida gebracht, also streng dich an.«
    »Das Joch wird bald verrostet sein. Es ist besser, wir meißeln es in den Stein ein, Senyor Valentí.«
    »Ist mir egal. Hauptsache, es sieht heute gut aus.«
    »Denk nicht mehr an ihn, Jaumet. Und erzähl bloß keinem weiter, was ich dir gesagt hab. Amen. Ich werde ihm schonein Eckchen in meiner Erinnerung einräumen, für alle Fälle, denn irgendwie sah er aus wie ein netter Kerl, und er hat mir gute Ratschläge für deine Schulbildung gegeben, das muß man ihm lassen. Manchmal ist das Leben schon verrückt.«
    Elisenda, im dunklen, feinen Kleid, mit hartem Blick, die Seele voller Schatten, legte Targa einen Zettel auf den Tisch. Obwohl die Trauerfeier kurz bevorstand, trank der Bürgermeister bereits das zweite Glas aus der Flasche, die im Schrank stand, um sich besser zu fühlen.
    »Was ist das?«
    »Da steht, was du sagen sollst.«
    »Es wird
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