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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses
Autoren: Jaume Cabré
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damit fertig war, verschob er all diese Dateien in den Papierkorb des Computers, leerte ihn und vergewisserte sich, daß wirklich alle betreffenden Dateien gelöscht waren. Dann legte er eine neue Diskette mit dem Virus ein, lud sie hoch, nahm sie wieder heraus und machte den Computer aus.
    Er schaltete die Taschenlampe ein und klemmte sie sich in den Mund, um die Hände frei zu haben. Mühelos fand er im Aktenfach des Schreibtischs die drei Ordner, die ihn interessierten, und nahm sie heraus. Sie enthielten Papiere, Fotos und Dossiers. Er ließ alles in seiner Tasche verschwinden und schloß das Fach.An der Wand stand ein kleiner roter Koffer. Er öffnete ihn. Reiseutensilien der Frau, die amanderen Ende der Wohnung schlief.Vorsichtig durchwühlte er ihn: nichts Interessantes. Er machte ihn zu und stellte ihn an dieselbe Stelle zurück. Bevor er ging, durchsuchte er sicherheitshalber noch alle Schubladen. Leere Blätter, Notizblöcke, Schulhefte. Und eine Zigarrenkiste. Er öffnete sie und fühlte, wie ihm plötzlich der Schweiß auf die Stirn trat. Ein paar Hefte mit handschriftlichen Notizen und einigen Zeichnungen.Verflucht noch mal. Beinahe hätte er sie übersehen.Vom anderen Ende der Wohnung her glaubte er ein schmerzliches Stöhnen zu hören.
    Als er die Wohnungstür hinter sich zuzog, war er sicher, keinerlei Spuren hinterlassen zu haben. Er wußte, daß er gut fünfzehn Minuten gebraucht hatte, um seinen Job zu erledigen, daß er sich noch um den 2CV kümmern mußte und daß er bei Tagesanbruch möglichst weit weg sein sollte.
    Sobald er allein war, schlich Doktor Schiwago ins dunkle Arbeitszimmer. Alles sah aus wie immer, aber er war beunruhigt. Er hatte das unbestimmte Gefühl, versagt zu haben.

71
    Der Gedenkstein bot einen prächtigen Anblick. Er war mit einem graubraunen Tuch verhüllt, das ihm etwas Geheimnisvolles verlieh. Evaristo, der Gemeindediener, wirkte klein vor ihm, und während er darauf wartete, daß die Leute aus der Kirche kamen, dachte er, heute werden sie mich endlich auf ein paar Fotos verewigen. Schließlich kamen die ersten Kirchenbesucher heraus, geblendet vom hellen Aprillicht, und zogen zu dem kleinen Platz hinüber, auf dem früher die Schule gestanden hatte und jetzt der Gedenkstein stand. In der ersten Reihe, in der an die zwanzig Stühle standen, hatte sich die herausgeputzte Cecilia Báscones schon vor Stunden einen Platz neben Senyora Elisenda und Gasull reserviert. Perilymphadenitis. Ihr zur Seite saßen der langjährige Bürgermeister Bringué im Sonntagsstaat und mit schütterem Haar, lächelnd trotz seines Hexenschusses, sowie der gesamte Gemeinderat und der neugekürte Stadtrat für Erziehung, Sport und Kultur aus Sort in Vertretung des Bürgermeisters. Der Stadtrat lächelte nicht, denn er hielt nichts von Seligen und Heiligen, meine Güte, im einundzwanzigsten Jahrhundert. Ein junger Mann setzte sich neben ihn, als wäre er eine Amtsperson. Der Stadtrat blickte zu ihm hinüber, um ihm zu sagen, daß dieser Platz nicht für das gewöhnliche Publikum sei, und erstarrte überrascht.
    »Hallo«, sagte der junge Mann.
    »Arnau, was machst du denn hier?«
    »Ich habe den Abt um Erlaubnis gebeten, hierherzukommen. Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen.«
    »Amtspflichten«, antwortete Jordi mit Leidensmiene. »Wie geht es dir?«
    Vor ihnen ging Hochwürden Rella an der Seite des Bischofs, erfüllt vom befriedigenden Gefühl getaner Pflicht; er schnippte mit den Fingern zu den Ministranten hinüber und erteilte hektische Anweisungen, damit nur ja die Familien des Dorfes sich endgültig miteinander versöhnten.
    Als sie auf den für sie reservierten Stühlen Platz genommen hatten, bat Senyora Elisenda Gasull um sein Handy: »Wo bist du?«
    »In Brüssel. Darf man erfahren, was du Bedogni erzählt hast?«
    »Schrei mich nicht an. Ich wollte dich nur daran erinnern, daß ich immer noch das Sagen habe, wenn ich will.«
    »Aber es ist doch alles auf mich übertragen!«
    »Damit du weißt, daß ich immer noch entscheide, wenn ich will.Vergiß das nicht.Warum bist du nicht gekommen?«
    »Selige und Heilige sind mir egal. Ich habe zu tun, Mamà!«
    »Er war dein Vater, Marcel.«
    Sie gab Gasull das Handy zurück, dieser schaltete es aus und raunte der Frau, die er liebte, zu: »Jetzt steht der Bischof auf dem Platz; er hat dieses wassergefüllte Ding dabei.«
    »Das Weihwasserbecken.«
    »Genau. Und jetzt schlägt ein anderer Priester ein Buch
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