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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses
Autoren: Jaume Cabré
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nur Hochwürden August reden.«
    »Was du von jetzt an sagen sollst: Präg’s dir gut ein.«
    »Du hast mir befohlen …«
    »Ich habe dir befohlen, einzuhalten. Lies.«
    Zögernd las Targa: »›Der Lehrer Oriol Fontelles ist bei einem Angriff ums Leben gekommen, der den Horden des Maquis zuzuschreiben ist, die sich in diesen Bergen herumtreiben. Für den außergewöhnlichen Heldenmut des Toten …‹«
    »Toten schreibt man mit ›d‹«, sagte Valentí empört.
    »Lies einfach weiter.«
    »… ›für den außergewöhnlichen Heldenmut des Toten gibt es Augenzeugen‹ und so weiter.« Targa hob den Kopf und sah Elisenda neugierig an.
    »So ist es gewesen, wann und von wem auch immer du in Zukunft danach gefragt wirst.«
    Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, öffnete sie ihre Tasche, nahm ein Bündel Scheine heraus und legte es auf den Tisch. Sie fühlte sich elend, denn es war, als bezahle sie seinen Mörder für einen Tod, den sie nicht gewollt hatte, statt für seine ewige Verschwiegenheit.
    Eine endlose halbe Minute lang sahen sie einander bis auf den Grund ihrer Augen, rückhaltlos und mit äußerster Intimität, einer gegen den anderen. Dann schloß sie ihre Tascheund ging ohne ein weiteres Wort. Als er allein war, betastete Valentí Targa abschätzend und ein wenig bewundernd die materiellen Umstände der neuen Abmachung.
    Er hatte gerade noch Zeit, die Scheine verschwinden zu lassen, da stürmte Claudio Asín herein, wie gewöhnlich ohne um Erlaubnis zu fragen, denn die hatte ihm der Sieg bereits für alle Ewigkeit erteilt. »Kamerad, im Namen des Vaterlands und aller aufrechten Männer fordere ich dich auf, unserem gefallenen Kameraden die Ehre zu erweisen, indem du eine Straße dieses beschaulichen Dörfchens nach ihm benennst.« Valentí Targa rief, »Was für eine ausgezeichnete Idee, wieso bin ich bloß nicht von selbst drauf gekommen!«, und verfluchte sein Vorbild und seinen Führer, weil der sich in Dinge einmischte, die ihn nichts angingen. Das letzte, was er wollte, war, den Namen seines Opfers auf der sonnenbeschienenen Rathauswand zu lesen. Doch er mußte die Kröte wohl schlucken.
    »Eine ausgezeichnete Idee«, wiederholte er, jetzt vor seinen Kameraden, auf dem Weg zur Kirche von Sant Pere. »Wieso bin ich bloß nicht von selbst drauf gekommen?«
    »Es gibt eben keinen zweiten wie Claudio Asín«, bemerkte einer seiner Begleiter.
    Es war eine prächtige Beerdigung. Die Kirche von Sant Pere war übervoll. Hochwürden August Vilabrú hielt die Messe, glanzvoll assistiert von Hochwürden Bagà und dem Militärpfarrer Leutnant Bernardo Azorín, den die Nachricht in Sort überrascht hatte, als er gerade mit einer Brigade ins Vall d’Aran unterwegs gewesen war, um Rebellen niederzumachen. In den Bänken zur Linken saß die wahre Familie des toten Helden, seine Kameraden von der spanischen Falange, angeführt vom berühmten Kameraden Don Claudio Asín und dem Bürgermeister von Torena, dem ehrenwerten Señor Don Valentín Targa Sau. Und in der ersten Bank auf der rechten Seite, die der Familie Vilabrú vorbehalten war, saß Senyora Elisenda Vilabrú, allein mit ihrem verborgenen Schmerz, begleitet von Bibiana, die sich ein wenig abseitshielt und wußte, daß diese Geschichte gerade erst begonnen hatte. In den hinteren Bänken saßen Cecilia Báscones, alle Mitglieder der Familie Savina, die Birulés, die Narcís, die Majals und die Batallas, und hörten mit düsterer Miene zu, wie Hochwürden August von dem Lehrer und Märtyrer erzählte, der das Tabernakel mit seinem Leben verteidigt hatte: »ein tapferer und offensichtlich tiefgläubiger Mann, der, indem er sein Leben für das Allerheiligste gegeben hat, es in gewisser Weise für uns alle gegeben hat«. Elisenda lauschte dem Responsorium mit gesenktem Kopf, die Augen dunkel von ihrer übergroßen Schuld, den Sarg ihres verräterischen Geliebten zum Greifen nahe. Nie werde ich dir verzeihen können, Oriol, denn du allein bist schuld, aber ich werde Wiedergutmachung leisten, weil ich ein paar Sekunden zu spät gekommen bin, um die Strafe zu verhindern, die du verdient hattest, du schändlicher Verräter, mein Geliebter, wie konntest du nur ein so schwarzes Geheimnis hüten, wenn dein Blick so rein war wie das Wasser der Quelle von Vaquer, und nun muß ich lernen, mit diesem Schmerz zu leben. Ganz hinten an der Tür stand Jacinto und paßte auf, daß alles seine Ordnung hatte, daß niemand sich ungehörig benahm und kein Guerrillero hereinkam, um
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