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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses
Autoren: Jaume Cabré
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die Feierlichkeiten zu stören, sehr gut, Jacinto. In seinem tiefsten Inneren war er zufrieden, ja glücklich, denn jetzt, da der Lehrer weg war – wer steht da noch zwischen mir und Senyora Elisenda?
    Ich stehe hier, weit weg von der Kirche, und höre auf die Rufe, die ab und zu herausdringen (Vivaspaña!). Sie erlauben nicht, daß ich dir Blumen bringe, Joanet, mein Junge; aber es ist so, als würde ich dir welche bringen (Viva!) Heute ist es ein großer Strauß goldgelber Hahnenfuß von den Basseresfelsen, die sind alle für dich. (Kamerad Fontelles, presente!) Wenn ich Gott wäre, würde ich eine Bombe nehmen und sie in die Kirche werfen, damit sie alle auf einmal erwischt. (Viva Franco!) Ich werd wohl nie erfahren, ob mein Joan bei denen dabei war, die uns heute nacht besucht haben; nachHause hat er nicht kommen können, aber das sah ganz nach ihm aus. Zu schade, daß er den Targa nicht auch noch hat umbringen können. Aber wenigstens hat der Lehrer schon für alles Böse bezahlt, was er uns angetan hat. (Arribaspaña!) Mein ganzes Leben lang werde ich weinen in Gedanken an dich, Joanet, denn das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann, ist, daß ihr Kind stirbt, vor allem, wenn sie schon Zeit hatte, es zu lieben, mit ihm zu schimpfen, wenn sie ihm oft Brot mit Olivenöl gegeben hat und ihn jeden Abend vom Fenster aus gerufen hat, wenn es dunkel wurde.

70
    Jaume Serrallac setzte sich für eine letzte Zigarette auf die Steinbank. Der Himmel war bedeckt und der Boden weiß überpudert. In Casa Gravat, direkt gegenüber, waren alle Lichter gelöscht bis auf das über der Eingangstür. Was für eine Dezemberkälte Anfang April, dachte er. Besser, du erinnerst dich nicht an ihn, Jaumet, hat er gesagt.Wie wir uns alle getäuscht haben. Aber Vater hat gesagt, ein bißchen würde er sich doch an ihn erinnern, für alle Fälle, als hätte er gewußt, daß Fontelles zwei Gesichter hatte.Wir haben ihm den Grabstein als Falangist gemeißelt und machen ihm jetzt den Gedenkstein als Seliger. Marbres Serrallac, stets im Dienst der Lüge. Zum Glück wird ihm Tina mit dem, was sie schreibt, den wahren Grabstein setzen. Ihn schauderte, und er sah auf. Hinter dem Wolkentuch war kein Stern zu sehen. Sicher waren sie alle eingefroren. Wieder dachte er an Tina und daran, was für ein Pech sie hatte, so jung, erst siebenundvierzig Jahre alt. Da die Landschaft verschneit war, schwiegen die Geschöpfe der Nacht. Er lauschte auf die Stille, und plötzlich vernahm er, zum ersten Mal in seinem Leben, das ferne Wasserrauschen. Der Summer des Handys, das er in der Hosentasche trug, schreckte ihn aus seinen Gedanken. Amèlia. Hast du denn nie Feierabend,Tochter?
    Er tat die letzten Züge und sah gedankenverloren zu Casa Gravat hinüber, während er die letzten Anweisungen seiner Tochter entgegennahm. Dann beendete er das Gespräch und wählte eine gespeicherte Nummer. Er hörte Tinas Stimme, die sagte: »Augenblicklich bin ich nicht zu erreichen, aber Sie können nach dem Piepton eine Nachricht hinterlassen.« Na, da ist sie aber früh schlafen gegangen, die Arme.
    »Hör mal, ich kann morgen früh nicht kommen, wirhaben eine weitere Ladung Steine für Tremp bekommen, und meine Tochter besteht darauf, daß ich fahre. Mach dir keine Sorgen, ich komme gegen Mittag vorbei, vor dem Essen. Tschüß. Viel Glück und einen Kuß. Ich besuche dich bald. Ach, und noch was: Du hast recht, man hört tatsächlich den Pamano rauschen.«
    Ein zweimaliges Piepen. Eine Männerstimme, rauh vom Tabak und vom Kaffee mit Schuß, jemand, der unüberhörbar aus dieser Gegend kam und vertrauensvoll von morgen sprach. Der Eindringling wartete einige Minuten lang, ob sich die Tür am anderen Ende der Wohnung öffnete. Nichts. Niemand. Zu seinem Glück hatte Juri beschlossen, keinen Laut von sich zu geben und weiter bewegungslos im Verborgenen zu bleiben. Erst als die Erinnerung an das Schrillen des Telefons verklungen war, als er wieder die Schneeflocken hören konnte, die alles sanft verhüllten, atmete der Eindringling auf und schaltete den Computer wieder ein.
    Juri wußte nicht, was er tun sollte, und so verließ er vorerst seinen Posten und versteckte sich im Wohnzimmer, lauschte aber auf jedes Geräusch, das aus dem Arbeitszimmer drang.
    Der Eindringling machte sich wieder an die Arbeit. Rasch füllte er fünf Disketten mit allen Dateien, die in den Ordnern mit den Initialen O.F. gespeichert waren, und mit einigen anderen, um ganz sicherzugehen. Als er
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