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Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend

Titel: Auf den Marmor-Klippen: 62 Tausend
Autoren: Ernst Jünger
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ERNST JÜNGER • AUF DEN MARMOR-KLIPPEN

    Ernst Jünger

    AUF DEN
    MARMOR
    KLIPPEN

    22. Tausend

    HANSEATISCHE VERLAGS ANSTALT HAMBURG
    Begonnen Ende Februar 1939 in Überlingen am Bodensee Beendet am 28. Juli 1939 in Kirchhorst bei Hannover
    Durchgesehen im September 1939 beim Heer

    Gedruckt in der Hanseatischen Verlagsanstalt Akt.-Ges., Hamburg-Wandsbek
Copyright 1939/1940 by Hanseatische Verlagsanstalt Aktiengesellschaft, Hamburg 36
Printed in Germany

    1.
    Ihr alle kennt die wilde Schwermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift. Wie unwiderruflich sind sie doch dahin, und un- barmherziger sind wir von ihnen getrennt als durch alle Entfernungen. Auch treten im Nachglanz die Bilder lockender hervor; wir denken an sie wie an den Körper einer toten Geliebten zurück, der tief in der Erde ruht, und der uns nun gleich einer Wüsten- Spiegelung in einer höheren und geistigeren Pracht erschauern läßt. Und immer wieder tasten wir in unseren durstigen Träumen dem Vergangenen in jeder Einzelheit, in jeder Falte nach. Dann will es uns scheinen, als hätten wir das Maß des Lebens und der Liebe nicht bis zum Rande gefüllt gehabt, doch keine Reue bringt das Versäumte zurück. Oh, möchte dieses Gefühl uns doch für jeden Augenblick des Glückes eine Lehre sein!
     Und süßer noch wird die Erinnerung an unsere Mond- und Sonnenjahre, wenn jäher Schrecken sie beendete. Dann erst begreifen wir, wie sehr es schon ein Glücksfall für uns Menschen ist, wenn wir in un- seren kleinen Gemeinschaften dahinleben, unter friedlichem Dach, bei guten Gesprächen und mit liebevollem Gruß am Morgen und zur Nacht. Ach, stets zu spät erkennen wir, daß damit schon das Füllhorn reich für uns geöffnet war.
     So denke ich auch an die Zeiten, in denen wir an der großen Marina lebten, zurück — erst die Erinne- rung treibt ihren Zauber hervor. Damals freilich schien es mir, als ob manche Sorge, mancher Kum- mer uns die Tage verdunkelten, und vor allem waren wir vor dem Oberförster auf der Hut. Wir lebten daher mit einer gewissen Strenge und in schlichten Gewändern, obwohl kein Gelübde uns band. Zweimal im Jahre ließen wir indessen das rote Futter durchleuchten — einmal im Frühling und einmal im Herbst.
     Im Herbste zechten wir als Weise und taten den köstlichen Weinen, die an den Südhängen der gro- ßen Marina gedeihen, Ehre an. Wenn wir in den Gärten zwischen dem roten Laub und den dunklen Trauben die scherzenden Rufe der Winzer ver- nahmen, wenn in den kleinen Städten und Dörfern die Torkel zu knarren begannen, und der Geruch der frischen Trester um die Höfe seine gärenden Schleier zog, stiegen wir zu den Wirten, den Küfern und Weinbauern hinab und tranken mit ihnen aus dem bauchigen Krug. Auch trafen wir dort immer heitere Genossen an, denn das Land ist reich und schön, so daß unbekümmerte Muße in ihm gedeiht, und Witz und Laune gelten als bare Münze in ihm.
     So saßen wir Abend für Abend beim fröhlichen Mahl. In diesen Wochen ziehen vermummte Win- gerts-Wächter vom Morgengrauen bis zur Nacht mit Knarren und Flinten in den Gärten umher und hal- ten die lüsternen Vögel in Schach. Spät kehren sie mit Kränzen von Wachteln, von gesprenkelten Dros- seln und Feigenfressern zurück, und bald erscheint dann ihre Beute in mit Weinlaub ausgelegten Schüsseln auf dem Tisch. Auch aßen wir gern ge- röstete Kastanien und junge Nüsse zum neuen Wein, und vor allem die herrlichen Pilze, nach denen man dort mit Hunden in den Wäldern spürt — die weiße Trüffel, die zierliche Werpel und den roten Kaiserschwamm.
     Solange der Wein noch süß und honigfarben war, saßen wir einträchtig am Tisch, bei friedlichen Ge- sprächen, und oft den Arm auf die Schulter des Nachbarn gelegt. Sobald er jedoch zu arbeiten und die erdigen Teile abzustoßen begann, wachten die Lebensgeister mächtig auf. Es gab dann glänzende Zweikämpfe, bei denen die Waffe des Gelächters ent- schied, und bei denen sich Fechter begegneten, die sich durch die leichte, freie Führung des Gedankens auszeichneten, wie man sie nur in einem langen, müßigen Leben gewinnt.
     Aber höher noch als diese Stunden, die in fun- kelnder Laune dahineilten, schätzten wir den stillen Heimweg durch Gärten und Felder in der Tiefe der Trunkenheit, während schon der Morgentau sich auf die bunten Blätter schlug. Wenn wir das Hah- nentor der kleinen Stadt durchschritten hatten, sa- hen wir zu unserer Rechten den Seestrand leuchten,
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