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Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen

Titel: Der Sommer mit dem Erdbeermaedchen
Autoren: Sabine Ludwigs
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riefen die ersten Journalisten der großen Zeitungen an.
    Die Polizei war gerade bei uns, eine junge Frau und ein Hauptkommissar. Schweigert hieß der. Er hat mich die ganze Zeit seltsam angeschaut. Er ging ans Telefon, wimmelte die Reporter nicht unfreundlich ab und vertröstete sie auf die Pressekonferenz. Mehr könne er im Augenblick nicht für die Presse tun, sagte er. Es täte ihm leid.
    „Wir sind hier nicht bei irgendeinem Tatort im Fernsehen“, erklärte er auf Mannis Frage, warum er so nett zu dem Pack wäre. „Journalisten sind keine Schmierfinken. Im Gegenteil. Die meisten sind in Ordnung. Außerdem brauchen wir die Unterstützung der Medien.“
    Meine Mutter senkte fügsam den Kopf. Mannis Augen jedoch sprühten Funken. Er drehte sich auf dem Absatz um, stürmte aus dem Zimmer.
    Ich konnte ihm ansehen, dass ihm diese Art der Aufmerksamkeit nicht in den Kram passte. Er mochte es lieber unauffällig. Und auf einmal war unser Dorf, von dem vorher kaum einer was gehört hatte, der Mittelpunkt Deutschlands! Nicht nur der Ort, insbesondere unsere Familie. Aller Augen waren auf uns gerichtet. Trotzdem sah niemand das Offensichtliche.
    Nicht mal Schweigert.
    Obwohl es von freiwilligen Helfern, Polizisten und Suchhunden nur so wimmelte und sie die Umgebung bis zum Einbruch der Dunkelheit durchkämmten, blieb Jan natürlich wie vom Erdboden verschluckt. Im wahrsten Sinne des Wortes.
    Es gab reichlich Spekulationen, Nick. Einige Leute dachten, dass Jan einfach ausgerissen wäre, wie Jugendliche das eben manchmal machen.
    Andere sprachen von Entführung, davon, dass sich bestimmt irgendein Kinderficker Jan geschnappt hätte, der zu klein für sein Alter wäre. Zu weich. Zu schüchtern. Zu hübsch. – Sie hatten recht. Nur, dass es nicht irgendeiner war.“
    Lina schlotterte trotz der Sommerwärme. Als sie sich gegen Nick lehnte, war da kaum ein Gewicht. Sie schien leicht wie ein Wattebällchen und die Stimme, mit der sie weitersprach, klang hohl wie die eines Geistes: „Nach Abzug des Suchtrupps und der Polizei blieb ich allein zurück. Allein mit meiner Mutter. Und dem Monster, das mich belauerte. – Mir blieb gar nichts anderes übrig. Also bin ich bei der erstbesten Gelegenheit abgehauen.
    Nachdem mich eine Polizeistreife gefunden und ins Krankenhaus gebracht hatte, grinste Manni mich an als er und meine Mutter kamen, um mich abzuholen. Seine Zähne waren ganz weiß. Wie bei einem wilden Tier. Er war so entsetzlich groß. Sein Kopf berührte fast die Decke des Zimmers, in dem ich untergebracht war.
    Ich bekam Höllenangst. Also schrie ich aus Leibeskräften. Und diesmal hatte ich Glück. Innd ois tinbrech ochm hirhoir … denn sie brachten mich hierher.“
    Lina vergrub ihr Gesicht in Nicks T-Shirt. Es wurde feucht von ihren Tränen. Sanft streichelte er über ihr Haar. Das Beben in ihren Schultern verebbte langsam. Ganz, ganz langsam.
    Erdbeeren auf einem Jungengrab … Nun war Nick klar, warum Lina alles verabscheute, was mit dieser Frucht zu tun hatte.
    Sie regte sich. Schaute ihn aus roten, geschwollenen Augen an. Der Blickkontakt hätte einen Sekundenbruchteil dauern können oder eine Ewigkeit. Nick wusste es nicht. Er bemerkte lediglich, dass die Sonne bereits tief hinter Lina stand. Der Abend brach herein.
    Nicks Stimme klang brüchig. Aber sie sagte das Richtige: „Ad ostb ochtn ihrm lionel. Du bist nicht mehr allein.“ Er ließ sie weiterhin nicht aus den Augen und dachte: Missbrauch hört sich zu sauber an, zu harmlos, zu wenig schrecklich. Es klingt nicht nach Blut, Speichel und Sperma. Es klingt nicht nach Schmerz, Verzweiflung, nach Gestank und danach, innerlich zu verrecken. Es klingt so glatt, wie sich die Drecksäcke, die das tun, nach außen hin geben.
    „Nick?“
    „Hm?“
    „Esw ulls cho ant?“
    „Was du tun sollst? Ganz einfach. Wir müssen der Sache ein Ende machen. Wir werden zu Marion und Thomas gehen. Sofort.“
    Lina schüttelte den Kopf. „Ois dinwir rom ochtn binglea.“
    „Da kennst du die beiden schlecht! Sie werden dir glauben. Alles.“
    Das taten sie. Von da an überschlugen sich die Ereignisse. Allerdings nicht auf die Art und Weise, wie Nick es sich erhofft hatte.
    Ganz und gar nicht.
    Den Polizeieinheiten gelang es nicht, Manni festzunehmen. Ihm war rechtzeitig vor Eintreffen der Beamten die Flucht gelungen. Darüber, und über die weiteren Umstände, wurde Nick von einer zähneknirschenden Marion ins Bild gesetzt. Offenbar hatte Manni sich schon lange auf einen
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